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Sprich, Schwesterseele, sprich – Zwischen Haff und Kap Hoorn

17.10.2011

Gewidmet dem Nemec Dietmar Grassmuck

I

Da war die Muschel,
mein süßes Sausen,
und der nackte braune Fuß
sank ein:

Die sandige Kühle sprach
bis zum herbeigeweinten Schlaf,
sprach mir von einst –
von einst.

Mit Binsen fest umschnürt
fiel hoch ich in den blauen Brunnen.

II

Erst war es der Blitz,
der die Eiche spaltet,
und die Eiche stürzt nicht.

Es blieb der Abdruck
eines Hufs im Heidesand.

Oder das Flammenmuster der Fliesen,
auf das du starrst
im Scheine lang gebrochner Rosen.

So ging das Weh,
Bruder, das Weh.

III

Die Wellen trugen mich von dir, die Wellen.
Im Schrei des Kranichs kehr ich zu dir wieder.

Mein Wehstern wollt ins Südland mich bestellen.
Im Schrei des Kranichs kehr ich zu dir wieder.

Der Algen Haar mocht meinen Leib umschwellen.
Im Schrei des Kranichs kehr ich zu dir wieder.

Mein Herzgelall Delphine übergellen.
Im Schrei des Kranichs kehr ich zu dir wieder.

Der schwarze Schaum tät meinen Schoß entstellen.
Im Schrei des Kranichs kehr ich zu dir wieder.

Die Wellen trugen mich von dir, die Wellen.
Im Schrei des Kranichs kehr ich zu dir wieder.

IV

Die blassen Lilien leg ich dir,
des Sehnens zarte Hände,
auf den schwarzen Samt des Haffs.

Die hellen Lieder heb ich dir,
der Liebe zarte Bojen,
auf den schwarzen Samt des Haffs.

V

Bernstein, deine Lampe
in den Geheimdienstkatakomben.
Dein Astrolabium der Seelenumseglung.

Der Stein tönt hier im prussischen Sand.

Schädel des Pferds,
ausgebalgt im Hungerwahnwinter.
Mit Bitterkraut gestopft an vierzehn Stationen.

Der Schädel tönt hier im prussischen Schnee.

VI

Ich kann nicht sterben,
wenn du lebst
und dein Lebenswehgespinst
aus meinen Sommerfäden webst.

Ich kann nicht sterben.

Du kannst nicht lieben,
wenn du schwebst
und den libellentrunknen Brief
mit meiner Birke Harz verklebst.

Du kannst nicht lieben.

VII

Hörst du mich, erkennst, Bruder, du
meine Stimme?

Auch wenn zwischen uns
die graue Zeit aufgeschichtet hat
Stein und Stein,
Bein und Bein:

Einen Stein überschauerte Moos.
Ein Knöchlein entschloss sich zu tönen.

Wenn der rote Nachtwind überm Haff
den Strandhafer peitscht –
hörst, Bruder, du meine Stimme?

VIII

Bruder, hier bin ich, aus der grünen Nacht
ans Ufer geschwemmt
mit dem Honiglicht des Bernsteins.

Hier der helle Schatten der Möwe,
wenn ihr Schrei auf die Nehrung stürzt.

Hier der Schrei nach dem wirklichen Mund.
Nach dem Blut eines menschlichen Worts.

Dort aber nährt das Geschwisterliche mich,

das dir, Bruder, im Traum geschieht:
die salzige Träne.

IX

Meerbruder, im Schaum glänzten Augen,
als dein Kiel ins Element schrieb:

„Ich liebe, ich siege, ich fliege
euch zu bis nach Kap Hoorn!“

Ja, das sah ich, das las ich
mit jenen Augen.

X

Du klammerst dich um den warmdunklen Leib.
Dein Ohr kreist um das Schnauben.
Dein Herz prasselt in das schwarze Wiehern hinab.

Die Büsche fallen, schon hebt es dich
hoch über die alten Alleen.

Schon zuckt von fern die Wimper der See.

Denk nicht, du müsstest ins Leere erwachen.

Noch umfiedert dein Engel den Traum.

XI

Möwe: für immer
erstarrt sie im Sturz.

So viele Kiesel – so viele Schreie.

Gräser: für immer
ins Licht geritzte Behauptung.

So viele Kiesel – so viele Schreie.

Segel: für immer
schwebt es auf Schaum.

So viele Kiesel …

Nehrung: für immer
ins Schweigen geschaufelter Schnee.

So viele …

Bruder: einmal netzt uns,
Dorn an Dorn,
Erinnerung …

Schmelzwasser,
wie es heimwegs verrauscht.

So, Bruder, so …

XII

Musst männlich du ins tief Verborgne tauchen?
In Fluten, Träumen wähnen letzten Fund?
Was glänzt im Netz – kannst du es noch gebrauchen?

Was du mit heißen Blicken saugst, ist Schwund.
Und tiefer als dein edles Harz gesunken
bin ich in dich, des Blutes edler Bund.

XIII

Nie wieder tropft mit dem Gurren des Morgens
Veilchenlicht, wo glückhaft wogte das Schilf.

Nie wieder hält in den Zwillingshänden
die Schwester das Haupt dir.

Und all die Küsse, wohin, die Küsse,
womit sie den Mund dir verschloss,
den im Halbschlaf plappernden Mund,
wie mit süßen Beeren, hastig gepflückt.

Nie wieder tropft mit dem Gurren des Morgens
Veilchenlicht …

XIV

Das Ruder leg beiseit: Gib dich
dem Wind, dem Dämmerlicht.
Erlausche, was geschwisterlich
die alte Wunde spricht:

Vergeh, mein Weh, verweh, du Traum,
die Nehrung deckt dich zu.
Die Abendglocke hörst du kaum,
dir weiß ich, Bruder, Ruh.

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Diese Gedichte entstanden im Zusammenhang der Produktion einer Sendung des Bayerischen Rundfunks über das Schicksal eines ostpreußischen Knaben, den die Stürme der Zeit an Ufer trieben, an die er nie gedacht hätte.

Die Gedichte verleihen der toten Schwester Dietmar Grassmucks eine Stimme. Sie wurde als Kind zusammen mit den Eltern bei der Besatzung ihres Heimatorts, des wegen seines alten Gestüts berühmten Trakehnen, von der Roten Armee getötet.

Das Radiofeature wurde von Anja Krug-Metzinger und Detlev Wilhelm Klee für den BR2 erstellt und am 20. Januar 2011 unter dem Titel „Zwischen Haff und Kap Horn – die große Odyssee eines kleinen Jungen aus Ostpreußen“ ausgestrahlt.
Für nähere Auskünfte siehe folgende Internetseiten:
http://www.krug-metzinger.de/site/Zwischen-Haff.html
http://www.br-online.de/bayern2/radiofeature/radiofeature-feature-archiv-ID120170441099.xml
http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/feature/grassmuck101.html

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Autor: Detlev Wilhelm Klee, Frankfurt am Main
E-Mail-Adresse: detlev.klee (at) t-online.de

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