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Mrz 23 25

Im hohen Schnee

Im hohen Schnee siehst du die Linie kaum,
dort muß den Hügel sie vom Himmel trennen.
Du kannst, was unten, oben, nicht benennen,
verwischt die Grenze zwischen Tag und Traum.

Ein Tropfen, der aufs weiße Kissen fällt,
versickernd höhlt er einen Schattenstollen.
Wie die Kristalle in die Erdnacht rollen,
mit ihnen, was gesprüht im Glanz der Welt.

Das Wort erbleicht, die frostbehauchte Rose,
bald schmilzt sein Sinn dahin in süßes Tauen.
Ein Schneeball hängt dein Kopf, der augenlose,

an einem Strahl des Monds im Orphisch-Blauen.
Fern hörst du aschenfahler Zunge Lallen:
O Sommernacht, durchglüht von Nachtigallen.

 

Mrz 22 25

Fadenscheinig

Das Kleid, wie fadenscheinig, abgetragen,
bleich, ausgewaschen sind die Blütentupfen.
Nur nicht am Saum an losen Fäden zupfen,
es löst sich auf, Gespinst aus Jugendtagen.

Du kannst getrübten Sinns sie kaum mehr lesen,
die noch nach Veilchen duften, alte Briefe,
es ist, als ob in Laubes Dunkel schliefe,
was einst dir Glut von roter Frucht gewesen.

Kleid, Briefe mag der Truhe Dämmer bergen.
Verwirf das Wort, gewalkt von tauben Zungen,
zermatscht zum Kauderwelsch von Zeitgeistzwergen.

Es ist ein Kleid, dem Anmut ausgewrungen,
ein Brief, unleserlich, weil ihn geschrieben,
dem reiner Liebe Zeichen fremd geblieben.

 

Mrz 21 25

Der wahre Reichtum

ἄριστον μὲν ὕδωρ, δὲ χρυσὸς αἰθόμενον πῦρ
ἅτε διαπρέπει νυκτὶ μεγάνορος ἔξοχα πλούτου

Pindar, Ol. 1, 1–2

 

Das Beste ist das Wasser, und das Gold,
Wie brennendes Feuer in der Nacht,
Strahlt es hervor aus männergroßmachendem Reichtum.

Wolfgang Schadewaldt

 

Höchstes Gut ist Wasser, aber das Gold,
Wie blinkendes Feuer zur Nacht,
Sticht es hervor aus dem prunkenden Reichtum.

Uvo Hölscher

 

Über Alles ist Wasser, und Gold, gleich flammendem Feuer
Der Nacht, stralet vor der mannadelnden Fülle des Reichtums.

Friedrich Hölderlin

 

Scheint reicher nicht als Gold die grüne Feuchte?
Auch sie erglüht an abendlicher Röte.
Damit dem Irrsal sich die Schneise böte,
netzt sie des Mundes Blume, daß sie leuchte.

Ergreift uns nicht, wenn ausgerauscht die Welle,
wie Gischtes Pfeile leisem Tröpfeln weichen,
das stumme Funkeln über glatten Teichen,
sehn nachts wir sie von traumbemooster Schwelle.

Wie dünkt uns süßer nun im Abendlicht
die Knospe, die sich Eos bang verschlossen,
das Wort, das leise von dem Schimmer spricht,

der ihm im Tau des Monds ins Herz geflossen.
Mehr als das Gold von Pindars Ruhmeskränzen
wiegt uns der Wehmut Tau, der Träne Glänzen.

 

Mrz 20 25

Der Blick ins Jenseits

In halb versteppten, dünn begrünten Schneisen,
wo abends Greise ihren Hündchen rufen,
sitzt du auf Traumes eingebrochnen Stufen,
und Wehmut lechzt umsonst nach süßen Weisen.

Vor gleisnerisch getünchten Bruchsteinmauern,
der Grenze kargen Tags, von drüben dringen
nur dunkles Schluchzen, geisterhaftes Singen,
siehst du den Schatten deiner Liebe kauern.

Du liegst allein, und ist kein Mund, kein warmer,
das Salz dir aus der Wunde Nacht zu saugen.
Da ist kein Engel, ist kein Allerbarmer.

Du blickst ins Jenseits schon mit klaren Augen,
wie sie die Arme reckt, die schneeig bleichen,
von Asphodelen dir den Kranz zu reichen.

 

Mrz 19 25

Die Flucht zu den Eremiten

Nach einem Gang durch die Innenstadt

Statt Herthas Auen Wüsten dürren Lebens,
wo an gigantischen Betonkakteen
die Fäden ausgefranster Träume wehen.
Oasen sucht der Seele Durst vergebens.

Durch Bauten von Termiten hasten Schatten,
die leichten, flügelzarten Ephemeren.
Dämonen, fette, sind, die sie verzehren,
wenn flügelnd sie vor ihrem Thron ermatten.

Wo Schauer uns geweht tauglänzend Laub,
starrt der Asphalt, die Quellen zugeschüttet,
erstickt, der sang, Mund, erdenfeucht, am Staub.

Laß ab vom Wohllaut, ist der Geist zerrüttet,
und fliehe, Dichter, zu den Eremiten,
dir Honig süßen Schweigens zu erbitten.

 

Mrz 18 25

Der Sinn des dichterischen Worts

Wenn Worte sich am Gitter Versmaß ranken,
tropft durch den Dämmer manchmal stilles Licht.
Sie zittern leicht, von Traumes Scheingewicht,
siehst du vom Hauch des Abends sie noch schwanken.

Sie gleichen Trauben auch, ein goldnes Schweben.
Genährt hat sie der Erde dunkler Sinn,
der Sonne Glut, ein Strahl vom Urbeginn,
gab ihnen, daß sie reifen, Glanz ins Leben.

Im hohen Herbst kannst, Dichter, du sie pflücken.
Damit ihr Blut in Herzverliesen gäre,
mußt wohl die runde Frucht du bang zerdrücken.

In Krüge füll es uns, das Licht der Beere,
wenn wir geschwisterlich auf grünen Auen
einander in erwachte Augen schauen.

 

Mrz 17 25

Das Altern des Dichters

Wie bog das Kind, dem aufgeschürft das Knie,
den heißen Kopf in Mutters Schoß. Rasch heilen
gewiegte Wunden. Doch das Gift von Pfeilen,
aus rotem Mund geschnellt, versickert nie.

Gepeitscht von Schreien blinder Sonnenwut,
barg Anmut dich im Flüsterlaub der Lauten.
Sogst du an Asphodelen, mondbetauten,
wie orphisch sang in Träumen dir das Blut.

Vom Star getrübtem Auge fahlen hin
die Auen, einst begrünt vom Hauch der Milde.
Der eigne Schatten überwächst den Sinn,

früh eingeleuchtet dir am Schriftgebilde.
Nun schließ die Augen, auf des Abschieds Schwelle
lausch, wie ins Dunkel strömt die Musenquelle.

 

Mrz 16 25

Stern der Wüstennacht

Als tropfte süßes Abendlicht durch Ranken
am Saum des Rebenpfads im Heimattale.
Höb sich empor das Herz wie eine Schale,
zu sammeln milden Tau dem Schwermutkranken.

Als fändest du im Schrank, den du durchwühltest,
verstaubt von Veilchen einen Strauß, lid-blassen,
und wär ein weher Hauch ihm noch belassen,
daß du, die einst ihn band, die Sehnsucht fühltest.

Nein, heimatlos liegst du, gekrümmt ins Dunkel.
Im Traum durchblättert Wind das Buch der Psalmen,
erloschen ist das herrliche Gefunkel,

der Hymnen Rauschen unter Zions Palmen.
Schlaf tief, bis dir erfrischt der Sinn erwacht,
den hohen Stern zu sehn der Wüstennacht.

 

Mrz 15 25

Hauch des Ungesagten

Wie muß im Durst des Karsts der Strom versiegen.
Statt daß gelöst wir zu den Quellen gehen,
sehn Staub der Angst wir in die Schneise wehen,
wo sonst besonnte Knospen Falter wiegen.

Mit Zungen rasseln wie die Klapperschlange
schließt selbst, die Böses tadeln, ein im Bösen.
Der Wust des Wahns wird sich vom Wort erst lösen,
taucht es zum stillen Ursprung im Gesange.

Magst, Dichter, du den Krug des Verses reiben,
damit sein Silber noch im Dunkel leuchte,
es wird ein Hauch des Ungesagten bleiben.

Gäb schlichter Ton ihm Form, der erdenfeuchte,
uns freut, was du erwählt, doch nicht erdacht,
die Blüten, deren Duft noch weht bei Nacht.

 

Mrz 14 25

Der hohe Augenblick

Beherzt die Apfelsine aufgeschnitten,
wie rinnen mit dem süßen Saft die Samen.
So quillt es aus dem Schoß der Nacht von Namen,
Tau, lindernd, was im Lichte wir erlitten.

Es kündet uns, die still vorübergehen,
Duft, wo vorm Ufer Dämmerlauben ranken,
daß Blüten leuchtend auf den Wellen schwanken,
auch wenn wir sie nur atmen und nicht sehen.

Daß wir am hohen Augenblick uns laben,
dem Schimmer, gleich der Frucht, die aufgebrochen,
wie Honig saugen aus Gedächtniswaben,

was Tränen früher Liebe uns gesprochen.
Sieh, wie die Perlen schon ins Dunkel blassen.
Und wieder sind wir blind, vom Geist verlassen.

 

Mrz 13 25

Der Scheintote

Der Moloch Stadt fletscht seine schiefen Hauer.

Die Flüsse Babels sind Kanäle, wo kein Schilf
mehr birgt, die um die ferne Heimat weinen,
Zions Waisenkinder.

Der Civitas terrena pumpt ein stählern Herz
Schleim der Unzucht und heißen Teer
der Unrast durch Adern, die sich im Nichts,
dem gliederlosen, schlängeln.

Ampel, Zebrastreifen, hochfrequentiert
um diese Morgenstunde, alles hastet, hustet,
hupt und rennt. Aktentasche, Handy, Damen-
täschchen, Einkaufsbeutel.

Ungeduschte, frisch Rasierte, Parfümierte,
Kopftuch, Haartoupet, geflammtes Hals-Tattoo,
Wulstlippen, Augenschlitze, Porno-Dutt,
Netzstrümpfe, Lederriemen, Lippenblech,
gezupfte Brauen, Plastiknägel, Wangenrouge,
Mulatten, Gelbe, Kreidebleiche, negroide
Baobabs und Nippon-Chrysanthemen.

Schulbengel, Banker, Servicegirls, Polierer,
Kappenjungs, geharnischte E-Scooter-
Flitzer, strampelnde Klein-Kind-Segler,
unterm Flugnetz ein gedämpftes Kreischen.

Und der liegt da, umgehauen, hingestreckt,
gefällt, gerollt in einen Schlafsack, schmutzig-grün,
die Beine wie im Weinkrampf um den Laternen-
mast geschlungen, das Gesicht von der Kapuze
wie in Scham verhüllt.

Könnte tot sein. Verendet. Hingeschieden.
Ohne Adieu gesagt zu haben. Wem auch?
Hat seit Jahren keinem mehr die Hand geschüttelt,
jeder wich vor Ekel gleich zurück. Lazarus,
Hiob, Geschwürenexhibitionist.

Da stakt vorbei, steil stelzend, die grellen Lampions
der Hinterbacken rhythmisch auf- und nieder-
schwenkend, ein Gazellenweib, die blondierte
Mähne singt dem Wind: Ich bin noch warm von
der burgunderroten Nacht. Was geht mich
der Kadaver an, der in sein schuldverseuchtes,
ödes Endspiel stinkt.

Ich sah noch, wie ein krummes Hauben-Muttchen
aus seiner Börse ein paar Münzen klaubte und
sie zitternd in die tellerrunde Frotteeschale warf.
Was bewog sie, sich des Kehrichts zu erbarmen?
Das Wehen eines Flügels aus der Dämmernische
bigotter Andacht, in die man statt des Engels
längst ein queeres Flitter-Püppchen rückte?

Ja, die Bettelschale lag, als hätte Nachtwind
sie ihm zugeweht, vor dieses Scheintoten
weltabgewandtem Antlitz.

Vielleicht erhebt er sich, wenn die Laterne ihren
trüben Schimmer mit dem Regenwasser mischt,
schält sich aus dem Sack und geistert, ein Nacht-
mahr auf der Suche nach der bangen Menschen-
brust, daß ihn das mühsam abgepreßte Keuchen
in obszönes Flimmern wiegt.

Vielleicht steigt er, wenn ich erschöpft ins Kissen
sinke, durch einen Gully geradewegs in meinen
Traum.

Dann entblößt er mir sein bronzenes Apachen-
angesicht, und ich erkenn ihn schreckensfroh,
den Freund aus Kindertagen, der mir die Wimpern,
meiner Unschuld zarte Schatten, hat versengt.

 

Mrz 12 25

Heidnisches Abendsonett

Durch Dickicht-Schatten dringt noch blaues Rufen.
Zerzauste Wolken-Rüschen, die sich röten.
Gedämpften Schmerzes träuft Nachtvogels Flöten
den Tau des Abschieds auf bemooste Stufen.

Die Echsen flohen, die im Feuer ruhten.
Als fröre sie, hüllt Rebenlaub die Beere.
Es schwimmt der Mond, das Mal der großen Leere,
der Asphodele gleich auf Lethes Fluten.

Mag sich, was Rätsel sprach, die Wunde schließen
und Stille deinen wilden Sinn befrieden,
wenn Venus’ Tränen in das Dunkel fließen.

Erduldend, was vom Schicksal dir beschieden,
von Nacht gezeugt und Strahlen, namenlosen,
weht hin dein Tag wie weher Duft von Rosen.

 

Mrz 11 25

Frühlingslüfte

Es harzen, treiben Milch die Knospenspitzen.
Wahr sagt der Krokus uns von lichten Sphären.
Daß wir uns recken, wenn die Schwalben kehren,
und nicht gedrückt in grauen Zimmern sitzen.

Das Fenster öffnet selbst der Schwermutkranke,
es ist daran gestreift ein Flügelschatten.
Die von zerkochtem Wissen längst nicht satten
treibt’s, Glanz zu schmecken, Tau der losen Ranke.

Was von den Höhen Tropfen Lichtes träuft,
was seufzend aus der dunklen Erde quillt,
hat Schöpfergeist im Abgrund angehäuft

und streut es aus. Wir staunen vor dem Bild,
das uns enthält wie Blüten tausend Pollen.
Daß wir, weil wir’s nicht malten, bloß nicht schmollen.

 

Mrz 10 25

Die Insel der Seligen

μακάρων
νᾶσος ὠκεανίδες
αὖραι περιπνέοισιν,
ἄνθεμα δὲ χρυσοῦ φλέγει,
τὰ μὲν χερσόθεν ἀπ᾽ ἀγλαῶν δενδρέων,
ὕδωρ δ᾽ ἄλλα φέρβει

Pindar, Ol. 2, 71–74

 

wo der Seligen
Insel Okeaniden-
Lüfte umatmen; die Blüte aber
des Goldes flammt
über dem Erdreich von
glänzenden Bäumen,
das Wasser aber andere<s> nährt

 

Friedrich Hölderlin

 

Doch umatmen der Seligen Inseln
Okeanische Lüfte,
Und Blumen von Gold brennen, die einen landwärts
Von prangenden Bäumen, das Wasser aber nährt andere

 

Wolfgang Schadewaldt

 

Der zarte, herbe Pindar sah sie wehen,
an schwanken Zweigen golden Blüten leuchten,
auf Wellen auch, die wiegend sie befeuchten.
Was blieb uns Mythenblinden noch zu sehen?

Er fühlte ozeanisch Lüfte blauen
um eine ferne Insel der Beglückten,
von Charis Hauch dem Erdenleid Entrückten.
Was fühlen unsre Herzen noch, die grauen?

Den Sohn Achill trug Thetis an die Küste,
durch Gischt grub Nereus ihr die Liebesbahn,
daß er nach dunkler Qual vom Dank noch wüßte,

der ihn vom Zorn erlöst, vom Flammenwahn.
Wer netzt die Seele uns, die ruhelose,
mit trunknem Tau von Edens stiller Rose?

 

Mrz 9 25

Abends am Strom

Wüsten Lebens Lärm, hin mag er wehen,
wenn wir abends durch das Schilflied gehen,
sanft zerteilen hoher Halme Schatten,
Licht von Blüten auf dem Wasser sehen,
bis sie unterm Tau des Monds ermatten.

Was wir sagen, Schweigen mag’s vollenden,
Augen, die sich trunkne Botschaft senden,
Düfte, wenn sich geben zarte Sprossen,
Dunkelfaltern Sonnenpollen spenden.
Nacht hat uns wie schwarzer Samt umflossen.

Treiben einsam wir auf jähen Tiefen,
Tränen sind, die hell ins Dunkel triefen,
Tränen, die den Fels der Angst erweichen,
bis uns Herzen, die in Nestern schliefen,
singen und wir uns die Hände reichen.

 

Mrz 8 25

Das strömende Wort

Essenz aus Erde, Wasser, Feuer, Luft,
strömt hin das Wort durch helle, dunkle Zeiten,
behaucht, was müde ward, entflammt, die streiten,
bringt Liebenden von Eden Friedensduft.

Wo es entsprang, in Karsten, wüst und leer,
der Quelle gleich, erweckt von jähen Blitzen,
quillt’s, seufzt und tanzt auf schwanken Blütenspitzen,
schwillt an und mündet, Hymnenstrom, ins Meer.

Verstummst du Mensch, entsetzt von Leid und Grauen,
sinkt schon die Sonne deines Tags hernieder,
vom Hügel mit dem Kreuz siehst fern du blauen,

sich windend kühn, den Strom der Psalmen wieder.
Von ihm benetzt, kann banges Herz sich sagen:
Zerfall zu Staub ich auch, Gras will ich, Blüten tragen.

 

Mrz 7 25

Die Sprachbildner

Wer sprach zuerst das Wort, Mann oder Frau,
das mehr war als vor Schmerz aufstöhnen,
als seufzen, wenn Erschöpfte sich versöhnen?
Sinn, der den Satz gebar: „Sieh, Himmel blau!“

Riet sie zum Aufbruch, daß die kleine Schar
in grünerm Fruchtland könne froher wohnen?
Beschwor er Mächte, die sie gnädig schonen?
Sinn schmilzt in Sinn, ein Spruchreif, golden-wahr.

Sprachbildner, Polen des Magneten gleich,
wenn zarte Muster bilden Eisenspäne.
Ein Sprachtuch webten sie mit Bildern reich,

fürs Töten Äxte und für Anmut Schwäne,
Gestirn für Ruhm und voller Mond für Stille.
Doch blieb das Zentrum schwarz: die Ich-Pupille.

 

Mrz 6 25

Undeutbar, Schluchzen

Dem Andenken an Annette von Droste-Hülshoff

Dein Hauch, wie jäh im Moor verschluckt vom Dunst,
was du geseufzt, Gischt hat es weggetragen.
Wie möchte schimmernd aus den Nebeln ragen
dein Grabmal mit der Inschrift edler Kunst.

Undeutbar, Schluchzen, das dem Moos entquillt,
verstummt, in Brodem, Schlafes Schilf gefangen.
Die aber rotem Musenmund entsprangen,
die Verse Sapphos sagten dir, was gilt.

Du auch, wie Laub an der Ruine Mauer,
dem Efeu gleich, Gedächtnis, das ergrünt,
empfandest sie verwandt, Meertöchter, Schauer.

Zu rauschen hast du männlich dich erkühnt,
das offne Haar dem Sturmwind hingehalten,
geatmet Traum aus Pythias Rätselspalten.

 

Mrz 5 25

Zwiegespräch mit der Sonne

„Ja, sitz hier still. Ist dein Gesicht auch fahl,
das Herz ergraut, verschorft die Haut der Seele,
ward blind die Inschrift der Gedächtnisstele,
vergiß dein selbst, küßt dich mein sanfter Strahl.

Mag’s dämmern schon, es dringt durchs Schattenlaub,
was überglitzerte die Kindheitsflüsse,
was dir gerötet hat den Samt der Küsse,
wisch dir nur vom Gemüt den eitlen Staub.“

„Es ist zu spät, ich warte auf die Nacht.
Sobald der Hoffnung Glanz wird erdwärts sinken
und Schwermut hüllt ins schwarze Tuch mich sacht,

will ich den Tau aus Mondes Schale trinken.
Dein Strahlen feiern Blumen, die nicht bluten,
mir hat’s den Geist gegerbt wie Flammenruten.“

 

Mrz 4 25

Ein Hündchen träumt

Es reckt die Ohren gleich, wenn hell die Stiege
von seines Herrchens lieben Schritten tönt.
Das seidne Fell, vom Sonnenstrahl verschönt,
sagt einem Mädchen, deine Wange schmiege.

Es fand wohl Heimat, warm bei Napf und Kissen,
doch fühlt’s, kein Teppich atmet Thymian.
Ein Sprung geht wie in zartem Porzellan
durchs Herz ihm, Wildnis immer fern zu wissen.

Wüst wedelt es, beißt in die Leine, bellt,
heiß hastet es dem Balle nach, dem roten,
äugt treu, wenn er dem Herrn zu Füßen fällt.

Nachts träumt’s, als riefen ihm die toten
Vorfahren, Hüter einst der Rentierherde:
„Schön war das Wandern auf der freien Erde.“

 

Mrz 3 25

Ein Mäuslein träumt

Es war ein Mäuslein, das nur immer kuschte,
wenn es da droben, wild im Blätterdunkel,
sah einer Eule lauerndes Gefunkel,
ins Erdloch vorm fatalen Schwirren huschte.

Da träumte oft es von der Ahnin Mären,
die sie, es lag in ihrem Schoß, gesäuselt,
vom Reich, wo Katze nicht, nicht Eule mäuselt,
wo ohne Bangen Tanz und Fiepen wären.

Dort müßten sie nicht dunkle Gänge wühlen,
nicht winters harren aus bei Span und Spelt.
Des offnen Himmels blauen Blick zu fühlen,

ein Garten Eden wär die Mäusewelt.
Doch aus dem Traum, wo Friedenslüfte hauchen,
reißt scharfer Tatze Scharren es und Fauchen.

 

Mrz 2 25

Sonett von der Angorakatze

An ihres Auges lichten Bernsteingittern
verglüht dein Schatten und zerrinnt dein Bild.
Nie siehst du, daß ein leiser Tau entquillt,
nie süßer Schwermut weiche Träne zittern.

Wie Kissen leichten Schlummers sind die Ballen,
wenn träumerisch sie ihre Pfoten leckt,
wie Dornen, holden Büscheln Schnees entreckt,
die in das Herz der Unschuld stechen, Krallen.

Wenn scheues Dasein sich ins Dunkel wühlt,
vergebens, und es fiept gespenstisch-schrill,
ist es die Maus, mit der sie grausam spielt.

Satt liegt, gepreßten Lids sie, lämmerstill,
und surrt entrückt, wenn zarte Mädchen kraulen.
Nachts aber hörst du sie bacchantisch jaulen.

 

Mrz 1 25

Dichterisch gesinnt

Die Wurzel reicht ins Dunkel tief, ins Licht
reckt aber irishelle Blüten Fühlen,
daß darin summend goldne Bienen wühlen,
doch ob den Tau sie finden, weiß es nicht.
Es rinnen Tropfen, die ihr Sehnen kühlen,
wohl über weicher Veilchen Angesicht.

Das Herz der Nachtigall fliegt, wenn sie singt,
durch Schwermutlabyrinthe blauer Schatten.
Nur unser Herz stockt, möchte schon ermatten,
wenn Krokus uns den Azur wiederbringt,
wir zittern, wenn sich Mond und Meergott gatten
und heiße Gischt in unsre Trübsal springt.

Nein, sei bereit, bleib dichterisch gesinnt,
mag denn der Herbst die zarten Knospen pflücken,
auch stiller Flocken Schnee kann noch beglücken.
Daß nicht das Blut des warmen Sangs gerinnt,
mußt du der Muse weiche Brüste drücken,
die Milch der Liebe saugen wie ein Kind.

 

Feb 28 25

Der Wein des Dichters

Die Gischt des Monds wäscht ab den Staub,
der Regen singt von müden Rebenranken,
woran dumpf pochend unsre Herzen kranken,
die Asche des verglühten Sinns vom Laub.

Gut ist den Nacken beugen einem Quell,
dem Felsenmund entflossen, süßem Leuchten,
wenn matte Moose sich mit Glanz befeuchten
und Lebensgeister rufen: „Nacht, wie hell!“

Sei, Dichter, uns dein Wort ein goldner Wein,
der unterm Kuß des Abendsternes sprüht.
Mag er in unsrer Brust die Sonne sein,

den Hades unsrer Ängste zu erwärmen.
Der Rose gleiche sie, die sanft verglüht,
wenn dämmerbang noch Falter um sie schwärmen.

 

Feb 27 25

Des Glückes scheuer Strahl

Ein Sonnenstrahl
durchs Küchenfenster kroch einmal,
nachdem er bänglich hingesunken,
aus einer Pfütze Mut getrunken,
flugs wieder sich emporgerappelt,
hat heiter, Knabe, dich umzappelt
und ausgestreut sein Feengold
in deine Knabenlocken hold,
auf dein Vokabelheft ein Wort gesät,
das dir kein Wörterbuch verrät,
getanzt auf deiner Nase Twist,
„Leb wohl“ dir auf die Stirn geküßt.

Gebeugt bleich über die Bucolica
bist nicht errötet du, als wär dir nah,
als käm zurück
das Sommerglück?

Wie, das kann nicht sein,
die Fensterscheibe, sagst du, war nicht rein,
schmutzig war sie, ungeputzt und trübe,
kein Fünkchen je, kein Irrlicht Liebe,
aus dumpfer Qual
erweckte Glückes dich kein Strahl,
perdu war immer Sommer schon
für dich in der Pennälerfron?

Na, warte, Kerl, jetzt setzt es was,
jetzt macht dich Mnemosyne blaß.
Fühlst du es nicht, wie sich im Grab
herum die Mutter dreht, die alles gab,
was wieder du mit vollen Händen hast
vergeudet und verpraßt,
die treue Magd, die Küchenfee,
gebügelt das gestärkte Hemd,
den eitlen Scheitel dir gekämmt,
die braun geäugt, das Schlaf-gut-Reh,
was, geputzt hätt sie die Scheibe nicht,
damit ermuntert dich das Sonnenlicht?

Im Finstern ewig torkle seelenkahl,
verleugnest du des Glückes scheuen Strahl.

 

Feb 26 25

In Schattennetzen

Wenn kalt der Mond die Silbersichel schwang,
entsinken rote Wolken, Blütenfetzen.
Dem Vogel gleich, der zuckt in Schattennetzen,
vergaß das Herz, wie süß die Frühe sang.

Frag nicht nach der Chariten goldnem Thron,
bestreut mit Rosen, Veilchen und Zyanen.
Es haben umgestürzt ihn die Titanen,
in Sapphos Hain gelenkt den Acheron.

Erloschen ist des Aulos holde Weise,
die Pindar Honig schleudernd hat beschworen.
Uns ging wie Pilgern an der letzten Schneise

das Sternbild im Gewölk des Wahns verloren,
Chimären, die aus trüben Wassern steigen.
Fremd rings Gelall, wir aber müssen schweigen.

 

Feb 25 25

Als würde hell die Nacht

Dem Andenken an Robert Walser

Schnee, o Schnee,
dein Wirbeltanz macht leicht,
daß Lichtkristallen gleicht
der Liebe dunkles Weh.

Vom Vlies des Schlafes Flaum,
weich hüll mich darin ein,
den Kitzel fühl ich kaum,
als müßten’s Küsse sein.

Dein Samt schmiegt sich so sacht
an meine Schläfen heiß,
als würde hell die Nacht,
verdämmern, was ich weiß.

Als teilte ich die Gischt
des Monds auf einem See,
schreib Zeichen ich im Schnee,
die neuer Schnee verwischt.

Schnee, o Schnee,
an scheuer Wimper graut
die Flocke schon und taut,
daß Bläue ich noch seh.

 

Siehe auch:
https://www.youtube.com/watch?v=0qOK_smVJTw

 

Feb 24 25

Augen sagten es

Noch gestern glänzte Tau dir, Rosenwange,
nun liegst du, eines Sommers dürre Schale
auf meiner Fensterbank. Ich denk zurück
an jene Tage, schneeverwehte Senken,
wo Weiden kahle Hände einsam recken,
in einen Himmel, der mit Schleiern spielt.
Dort strömten grün charitenmilde Wasser,
und wir im Gras des Ufers lagen still,
denn unsre Augen sagten es, die feuchten.
Dem Reh gleich, das auf eine Lichtung tritt
des Abends, äsend hebt es jäh den Blick,
bang flüstern Halme noch, da es entspringt,
seh flackern ich dein Bildnis wie im Schein
der Kerze, deren Docht um Honig bettelt.
Nun kost des Dämmers Odem mit dem Blatt,
bald wird es in die Tiefe, muß es fallen,
o könnte ich die stumme Erde sein,
worein es langsam schmilzt, wie eine Flocke,
ein zarter Flaum, vom goldnen Vlies gepflückt,
bevor noch Argo ins Verhängnis schwamm.
Das Fenster schließ ich, zieh den Vorhang zu,
daß mir kein Strahl Erinnerung erwecke,
kein Zwielicht gaukle ferner Liebe Bild.

 

Feb 23 25

Entrückte Stimme

In dieser Urne, einem Massengrab,
wo Würde neben Niedertracht muß liegen,
wo Dummheit und Genie das gleiche wiegen,
verstummt sogleich, wer seine Stimme gab.

Sie lauern vor den Linsen, geifern schon,
zu wedeln und scharwenzeln, feile Schranzen,
getünchter Mienen Maskentanz zu tanzen,
das Herz der Phrase dumpfes Megaphon.

Halt fern dich, Dichter, vom Geschrei der Straße,
ein fauler Atem wird dein Lied zersetzen,
morsch brechen hin, von ihm behaucht, die Maße.

Dein Tau mag zarte Wimpern nur benetzen.
Ein Laub, das schauert, Stimme, hold entrückte,
sie strömet einsam, wo die Knospe glückte.

 

Feb 22 25

Im Keim verschlossen, Rätselwort

Wenn von des Abgrunds Dunkel Blitze künden,
von Gottes Schweigen aber Donner dumpf,
wenn eine Wolke Segensmilde regnet,
den Tau von Wimpern schütteln wache Knospen,
spricht wohl prophetisch geistgestraffter Mund:
„Es ist ein Gott, der überm Zwielicht thront,
sein Name glänzt, o dunkles Licht der Tiefe,
und seines Zeichens ist der Gipfelschnee,
wenn ihm im Abendlichte Schatten blauen,
sind es, die sanfter rauschen, Engelsschwingen.“

Wie aber jener, der vom Strahl geblendet
und über sich geworfen das Gewand,
daß er der Schar enthüllt, den Auserwählten:
„Unsichtbar ist die Macht, die schöpferische,
wir sehen nur, wie Wolken, Schaum der See,
gespenstisch jagen, nicht der sie peitscht den Sturm.
Wie das im Keim verschlossen, Rätselwort,
das aufgeht unterm goldnen Kuß des Lichts
und sich entfaltet zu der hohen Eiche
episch raunender Gestalt, ist Gott,
unaussprechlich ist sein wahrer Name.
Wir haben nur, dem Echo gleich, das zehrt
am bröckelnden Gestein, und Efeu schauert,
der Seele schmerzlich-süßes Zittern, greift
die Saiten fühlend eines David Hand,
den Psalm, ein zartes Blatt, vom Strahl vergoldet,
der durch das trunkne Laub des Dämmers drang.“

Uns, die gesanglos wie im Hades tasten
mit Händen, taub von tumber Mühsal Schwielen,
mit Herzen, die am blinden Puls ergraut,
hat leergewischt der blauen Tafel Zeichen
ein schwarzer Schwamm, getunkt in Tränensud.

Wer nähme, die am Gitter Schwermut wuchs
und ahnend schwankt, die Ranke sich als Brücke
ins weiche grenzenlose Blau der Nacht,
wer hielte noch im Reigen der Plejaden
sein Herz dem Blitzen hin, Orions Pfeil?

 

Feb 21 25

Am Fenster stehe still

Was tust du hier? Was willst du noch, o Mensch?
Wie rasch die Spuren sich verlieren, wuchert
das dunkle Moos schon über edle Namen,
zerknirscht die Stimme, die zu Göttern stieg.
Der schimmernde, der Krug der Abendfeier,
wo Anmut zarter Ranken Zeichen malte,
es rafft sie keiner auf, die Scherben leimend,
an stumpfer Gier zersprungene Fragmente,
unlesbar einem faselnden Geschlecht.
Die Nische, wo der Engel sanft geschwebt,
von goldnem Licht getränkt der Unschuld Flügel,
bewohnt die Eule nun, auf Mäuse lauernd,
die über umgestürzte Bänke huschen.
Was willst du noch? Am Fenster stehe still
und schau die Traumgestalten, stumme Wolken,
die gleichen Sinnes über Wald und Wüsten
hinschwammen, auf der dunkelblauen See
die Gischt, träg schäumend wie dein müder Wille.
Lausch auch dem dunklen Brausen der Gezeiten,
die an den Ufern nagen, bis zerbricht
der schmale Streifen Grün und mit sich reißt
die Büsche und Gesanges schwanke Nester.
Verblichen treibt im schwarzen Sand die Muschel,
die einst der Knabe an den Mund geschmiegt,
zu tönen, wie Chariten sie behauchen,
die herrlich knospen, Seelen, und im Glanz
des Schönen heiter sind, Thalia, Aglaia,
Euphrosyne, Pindars Trinitas.
Eratme sie, die Düfte ferner Inseln,
die schon Gestirnen gleich verlöschen, Augen,
die sich ausgeweint im Schoß der Nacht.
Und bringen sie das Lied dir mit, das frühe,
das Liebesopfern wölkte vom Altar,
lall einmal es noch nach und sink ins Kissen.

 

Feb 20 25

Umwölkt von Veilchenduft

Die Steifen lockern sich und lachen.
Ein Hündchen hat gebellt,
ein Spatz ist durch das Kirchenschiff geschnellt.
Wie Reime manchen toten Docht entfachen.

*

„In deine Träne laß mich ein,
ein Salzkorn, hin und weg zu tauen.“
„Ein Spiegel nur kann ich dir sein,
in meinem Auge deins zu schauen.“

*

Im Traume klappern Holzpantinen,
ein Kimono fließt, Zehen wippen.
Aus Wachs sind hier der Liebe Mienen,
sie schmelzen nicht an Traumes Lippen.

*

„Den Becher heb an deinen Mund,
worin ich meinen Herbst gegossen
von Trauben, wie ein Wehlaut rund.“
„Den Kuß, der kühlt, fühl auf der Stirn,
den Enzian, dem Schnee entsprossen,
als aufgetaut mein Hauch den Firn.“

*

Dem Seufzen, Keuchen, dumpfen Stöhnen,
gedrungen aus der Hadeskluft,
entwand ein selig-süßes Tönen
der Gott, umwölkt von Veilchenduft.

 

Feb 19 25

Die letzte Reise

Wenn was ihm Heimat gab verblaßt, verweht,
die Knospen, unter Eos Hauch entzündet,
ihr Duft, der sein Gemüt genährt, entschwindet,
fragt keins, wohin der stumme Dichter geht.

Ward ihm zum Karst der Garten, und das Wort
erstickt vom geilen Speicheln fremder Zungen,
von Fäulnisgasen übertäubt die Lungen,
ein Pilgrim ohne Muschel zieht er fort.

Ins Traumland wandert er, wo Hund und Hirten
am Feuer lagern und den Ausgebrannten
mit froher Glut und süßer Milch bewirten.

Dem aus der Muttersprache schnöd Verbannten
erbebt die Lippe schon von frühen Weisen.
Zu Hirten des Vergil magst, Dichter, du noch reisen.

 

Feb 18 25

Aus der Hadeskluft

Dämonisch, ein Waran, sein Kuß ist Tod,
die Jungen flüchten, kaum entschlüpft der Schale,
vor ihrer Mutter, Monstrum, Kannibale.
Solch Graun erweicht kein Hauch, kein Abendrot.

Aus Tiefen steigt Kolonos Götterhain,
wo seherisch, der sich geblendet, lauschte,
Gesang der Nachtigall, Laub, das sanft rauschte,
als tränke Charis ihn mit goldnem Wein.

Wir aber tasten seelenblind ins Leere,
und hören fern wir Edens Quellen singen,
ist es, als ob uns dunkle Glut verzehre,

unstillbar züngelnd Flammen uns verschlingen.
Wir flehen aus der Hadeskluft vergebens:
„Träuf, Lazarus, uns Tropfen wahren Lebens!“

 

Feb 17 25

Die Endzeituhren ticken

Die Wolken fließen weich wie Traumgebilde,
doch wenn sie Sturmes Klauen blindlings rupfen,
siehst Flocken du noch, milchig-schäumend Tupfen,
und wieder blaut der Schlaf des Himmels milde.

Es war dir, ferner Gärten Wasser quillen,
und Flüstern wob durchs Dunkel Silberfäden.
Steh auf und mach sie dicht, die Fensterläden,
das tiefe Weh, sie können es nicht stillen.

Verweigre dich dem Flammenkuß der Rose,
kühl, Dichter, deine Stirn am Veilchentau,
verstumm vor scheuen Lippen der Mimose.

Hüll dich ins Tuch aus dunklem Jenseitsblau,
mag Nacht darein auch Inseln Lichtes sticken,
lieg still und hör die Endzeituhren ticken.

 

Feb 16 25

Rettung für die Autochthonen

Flucht nur wär Rettung für die Autochthonen,
die hellen, vor den Dunklen, den Barbaren,
die in den längst entstellten Marken wohnen,
vor tückisch-milden auch, Verräterscharen,

am Blut der Mutter saugend, Parasiten,
die ihren faden Geist mit Phrasen würzen,
aus der zerfressnen Galle Wahn geglitten.
Sie werden, stirbt der Wirt, ins Leere stürzen.

Wohin? Sie reisen schon, die Wehmutkranken,
gen Nord, zu Sterngeschwistern, Rentierlappen,
dort bauen, unter Birken, heiter-schlanken,

sie Hütten, krönen sie mit Eichlaubwappen.
Sie retten sie, die Sprache aus dem Sumpfe,
wo Geister an ihr nagen, wurmblind-dumpfe.

 

Feb 15 25

Nur wenig Grün

Nur wenig Grün blieb, müden Lebens Licht,
uns, deren Herzen lange schon ergrauten,
es gleicht dem Moos, an dem Kristalle tauten,
auf einem Mal, das auseinanderbricht.

Getrübtem Aug verschwimmt die hohe Schrift,
ihm wollen zwischen Namen, frommen Siegeln
sich Wasser namenloser Tiefen spiegeln,
wo fahler Strahl auf Asphodelen trifft.

Und pflückst halbblind du ärmlich-dürre Halme
auf Karsten, Dichter, längst versteinter Worte,
sie geben dir den Duft nicht mehr zum Psalme.

Sink nieder auf die Schwelle jener Pforte,
wo hoffend du hast angeklopft – vergebens.
O dürftiges, o Grün des müden Lebens.

 

Feb 14 25

Pilger durch die Dunkelheiten

Den Augen, Pilgern durch die Dunkelheiten,
als glimme fremder Sterne Licht im Spiegel,
als wär gelöst verschwiegner Liebe Siegel,
ließ feuchter Schimmer die Pupillen weiten.

Grün glänzt die Schneide von zerbrochnem Glase.
Wie rote Blüten auf im Staub gegangen,
wie Tupfen Rouge auf eingefallnen Wangen,
Blutstropfen sind’s. Tot liegt ein Weib im Grase.

Sag, Dichter, was du sehend klar empfunden.
Sind sie auch wirr, die Linien des Lebens,
und liegt ein Zwielicht auf den späten Stunden,

daß dir erscheinen fremd vertraute Zeichen,
du ziehst des Verses Furchen nicht vergebens,
wenn sie bis an den Saum der Urnacht reichen.

 

Feb 13 25

Die Feuer der Erde

Wo aber heller schäumte die Luft und blauer
die Himmelsapsis sich wölbte, gab sich die Erde,
erweckt vom schwarzen Flackern der Zypressen,
in süßeren Früchten.

Der Dichter schlief zwischen den Gräsern und hörte
im Traum die Wasser durchs Laub der Dämmerung rauschen,
den blanken Fuß des Götterbilds zu netzen
im dunkelnden Haine.

Uns sind entrückt, wie von den Blattern entstellt sind
die Bilder, trocken die Adern verwitterter Male,
und schabt wer ab den Schorf der Zeit, so sieht er
nur fahlende Fratzen.

Die Erde, zum Schweigen gebracht unter Asphalten,
staut auf, die an grimmigen Wurzeln entfachten, die Feuer.
Es werden die Schale des dumpfen Schlafs zerbrechen
gefräßige Flammen.

 

Feb 12 25

Zertrümmerte Aphroditen

Die greise Muse muß den Blick jetzt senken,
wenn tätowierter Phrasen Muskeln schwellen.
Die Anmut lernt vor schwarzer Mäuler Bellen
die sanften Glieder spastisch zu verrenken.

Verpönte Namen gleichen edlen Vasen,
woran obszön man schilt die runden Lenden.
Zertrümmert werden, die Plebejer blenden,
die Aphroditen unter Meerschaumgazen.

Die sich wie Ranken um die Säulen wanden,
Akanthusblätter, Weihtums First zu krönen,
der Hymnen hohe Atemrhythmen schwanden.

Hör, Dichter, auf im Angstverlies zu ächzen,
birg dich ins Schilf, mag Mondnacht dich versöhnen,
lausch Lethes Flut nach deiner Seele lechzen.

 

Feb 11 25

Flüstern wie von Ranken

Ein schattenhaftes Flüstern wie von Ranken
hat kaum gekühlt den stummen Schmerz der Wunden,
nur halb gefüllt die leeren Abendstunden,
wie Schaum die Muscheln, die mit Monden schwanken.
Was wir einmal als Schöpferwort empfunden,
ward schattenhaftes Flüstern wie von Ranken.

Und bat ich dich, den hellen Vers zu sagen,
die Knospe, die auf dunklem Teich geschwommen,
betaut von Tropfen, die im Frührot glommen,
hast du, als wär der Glanz nicht zu ertragen,
den Blick gesenkt, schwiegst wie ein Kind beklommen,
wenn ich dich bat, den hellen Vers zu sagen.

Es schwebt der Geist noch über grünen Wellen
an Ufern, wo ihm huldigen Narzissen.
Sind aber Dichter, die den Duft vermissen,
geheime Sonnen, trunkner Verse Schwellen,
führt sie die Nacht, von Blitzen aufgerissen,
zum Fruchtland, hold umspült von grünen Wellen.

 

Feb 10 25

Die alternde Kindfrau

Ein sanfter Strahl hat schon genügt, und feines
Lächeln, von dem sie selber nichts gewußt,
umspielte ihren weichen Mund.

Saß sie vorm Fenster, und es wehten Zweige
trunkne Schatten auf und nieder, beglänzte
Feuchte, der schon dunkelte, den Blick.

Hat ihr auch das Schicksal aufgebürdet
Scheite der Erinnerung, die Finger wie Fühler spreizend
trat sie lauschend auf den Saum der Nacht.

Das graue Haar rehbraun getönt, die blasse Wange
von zartem Rouge gehöht, blieb dunkle Glut,
die Sehnsucht kaum mehr schürt, das Herz.

„Wird nicht alles weniger“, so sprach sie öfters,
„wie das schimmernd trat hervor, das Bildnis
auf der Münze, abgegriffen vom Gebrauch?“

Ich sagte nichts, doch schmeckte Fadheit,
wie einer Frucht, die zuviel Sonne runzeln ließ,
und wässrig trieft der Lebenssaft.

„Die Namen auch, die Blüten süßen Dufts,
wir sahen nicht, daß Herbst sie wohl vergoldet
mit einem Licht, das Bitterkeit aus Pfützen trank.

Verschweigen wir, was unter Ranken uns geglüht,
der Wingert wurde aufgelassen,
ungekeltert blieb der stillen Hoffnung Wein.“

Ein sanfter Strahl hat schon genügt, und feines
Lächeln, von dem sie selber nichts gewußt,
umspielte ihren weichen Mund.

 

Feb 9 25

Ins Leere gleiten

Am Licht geprüft ergrünten Baumgedanken,
in Dunkelheit gekeimt, der Nacht entsprossen.
Das Dichterwort, von Rätselhauch umflossen,
weht ferne schon, ein Flüstern zarter Ranken.

Vom Blitz geweckt, dem Schlaf des Schnees entsprungen,
grub Wasser sich ein Bett, und Lefzen troffen.
Dem schien ein Pfad durchs Schilfgeseufz noch offen,
hat Melusines bleichen Mund besungen.

Wie die an heißen Stirnen schmelzen, Flocken,
sind nun der frühen Bilder Traumkristalle.
Das Flußbett unsres Fühlens, es fiel trocken.

Schon fault das Moos auf den zersägten Scheiten.
Daß von der Brust sich löse Dämons Kralle
und stumme Schatten wir ins Leere gleiten.

 

Feb 8 25

Im Schmerz bist du mir nah

Wie eine Frucht, am Gaumen aufgegangen,
und süßer Saft zerrinnt im dunklen Munde,
ist die Erinnerung an jene Stunde,
da süß in Südens Gärten Vögel sangen.

Wie jählings aufgeflattert sich die Hände
wie weiche Schalen eins ums andre schlossen.
Ein goldnes Licht war durch das Grün geflossen,
daß sich der Tag am Traum gestillt vollende.

Weilst du auch fern, im Schmerz bist du mir nah.
So steht am Fenster, der die müden Augen
ins Zwielicht taucht, als ob an Ästen, toten,

Orangen glühten, wie ich einst sie sah,
als mich verlangte, hellen Schlaf zu saugen,
und du den Mund mir recktest hin, den roten.

 

Feb 7 25

Die Taube und ich

Philosophische Aphorismen und Sentenzen

Die schöne Waldtaube, der ich täglich Sonnenkörner streue, kann ich von ihr sagen, daß sie auf dem Dach des Hinterhofgebäudes ruhig sitzend auf mich wartet, mich sieht, erkennt und wiedererkennt, wenn ich ans Fenster trete und es öffne, in demselben Sinne es sagen, wie ich sage, daß ich sie sehe, erkenne und an ihrer charakteristischen weißen Halsbinde wiedererkenne?

Die Taube kommt in der frühen Morgenstunde, sobald es hell wird. Erinnert sie sich daran, daß sie gestern auch hier war, vorgestern, vor einem Monat?

Kann sie voraussagen, vermuten, hoffen, daß ich bald wieder ans Fenster trete und ihr Körner streuen werde? Kann sie wünschen, daß es heute ein paar Körner mehr als gestern oder vorgestern sein werden?

Kann sie befürchten, daß ich heute nicht ans Fenster trete, und sollte dies der Fall sein, darüber spekulieren, warum es nicht geschah, und sich etwa fragen: „Vielleicht ist er verreist, krank oder am Ende gar gestorben.“

Kann sie sich sagen: „Da ist er wieder, dieser seltsame Mensch, der sich meiner annimmt, an mich denkt, mich nicht vergißt?“

Ich erkenne das Tier als diese bestimmte, einzigartige Taube. Ich weiß, was ein Tier ist, kenne diese und jene Arten und Gattungen von Tieren wie Schlangenartige und Kobras, Wolfsartige und Hunde, Vögel und Tauben, Hominiden und Menschen, und unter allen Menschen diesen einen, der ich selbst bin. Doch die Taube weiß nicht, daß ich ein Mensch bin, weiß nicht, daß sie eine Taube ist.

Etwas wissen heißt hier, es sagen können. Es nicht wissen heißt, es nicht sagen können. „Können“ hat hier einen semantisch-logischen, keinen nur physiologischen Sinn.

Ich weiß, daß ich die Taube nur eine gewisse Zeit füttern werde. Jedenfalls, solange ich Gefallen daran finde und es will. Verläßt sich die Taube darauf, daß ich es weiterhin tue, wäre sie enttäuscht, wenn ich davon Abstand nähme?

Der enttäuschte und betrogene Liebhaber der antiken Elegie und Komödie liegt nächtelang auf der Schwelle der Geliebten. Meine Taube wird, so ist zu hoffen, wenn sie die ausgestreuten Körner ein paar Tage vergeblich zu erspähen versucht hat, den Weg zu mir meiden.

Was sollen wir von den treuen Hunden sagen, die ihr unterwegs verlorengegangenes Herrchen über weite Strecken suchen und wiederfinden, die gar vor dem Grab des verstorbenen harren und darben? Es kann wohl nicht nur die durch die Fütterung konditionierte Bindung als ausschlaggebendes Motiv in Anschlag kommen. – Vielleicht aber drängen sich in solchen Fällen Projektionen menschlicher Verhaltensmuster und Gebärden auf die innig geliebten Haus- und Schoßtiere verständlicherweise geradezu unaufhaltsam auf.

Kann die Taube sich vornehmen, morgen einmal nicht zu erscheinen, gleichsam aus Trotz, weil ich ihr heute zu wenig Körner gestreut habe? Kann sie ein paar Tage ausbleiben, um mir den beinahe verwegenen Hinweis zu geben, wie sehr ich ihrer erfreulichen Anwesenheit bedarf; so wie Liebende es tun, die sich dem anderen entziehen, um ihn seiner Sehnsucht innewerden zu lassen?

Die Waldtaube ist äußerst scheu. Manchmal verharrt sie lange auf dem Dach, als wäre sie nur bereit, sich auf den Boden herabzustürzen, wenn ihr das Wagnis unbedenklich zu sein scheint.

Ich dagegen scheue mich manchmal, den Tiernarren zu spielen, wenn ich mich von einem Nachbarn beobachtet glaube.

Das instinktive Zögern des Tiers und meine soziale Scheu entspringen unterschiedlichen motivationalen Quellen und sind nicht vergleichbar.

Früher kamen sie zu zweit, und friedlich pickten nebeneinander Taube und Täuberich. Nun kommt sie schon lange allein. Ob er gestorben ist, ein Opfer der oft hier krächzenden Krähen wurde?

Warum ist es albern, der verwaisten Taube den sozialen Status einer Witwe zusprechen zu wollen?

Tauben kennen, auch wenn sie wie andere Vogelarten eine langjährige Bindung einzugehen pflegen, keine sozialen, auf Konventionen beruhenden Institutionen wie die Ehe.

Die Übertragung von dem Menschen eigentümlichen Gepflogenheiten und Institutionen auf das Leben und Verhalten der Tiere ist ein typisches poetisches Verfahren der Fabel, wie wir es von Äsop bis zu La Fontaine und Lessing kennen.

Der Waldtaube mit dem silbergrau schimmernden Federkleid wachsen keine schwarzen Federn zum Zeichen, daß sie Trauer trage.

Die Taube und die Sippe ihrer nahen Anverwandten pflegen keine Trauerrituale, suchen den Ort, wo der verunglückte blutsverwandte Artgenosse umkam, nicht auf, um seiner in Stille zu gedenken.

Ich sage mir: „Wie seltsam, Federn zu haben, und statt der Arme und Hände einen Schnabel; wie merkwürdig, sich aus dem Stand durch ein paar kräftige Flügelschläge jählings in die Lüfte zu erheben und in einem hohen, eleganten Flug den Kranz des weit emporragenden Kamins auf dem Nachbarhaus zu erreichen, um dort in die Runde zu schauen.“

Die Taube aber kann sich nicht sagen: „Wie seltsam, eine nackte Haut zu haben und nur auf dem Kopf, unter den Achseln und an den Geschlechtsteilen behaart zu sein, auf zwei Beinen zu stehen und zu gehen, Hände an den Armen zu haben und mit ihnen Dinge zu verrichten, die ein Schnabel nicht zu leisten vermag; wie merkwürdig, einen Mund zu haben, aus dem es nicht gurrt, sondern spricht.“

Ein Kamerad aus der Kinderzeit, dessen Großeltern aus dem Ruhrgebiet stammten, setzte die dortige Tradition der Brieftaubenzucht mit seinem Vater fort. Die edelsten Vögel wurden ausgesucht und in Käfigen von Mitgliedern des Taubenzüchtervereins in weit entfernte Orte verbracht; dort ließ man sie frei und zu Hause wartete alles gespannt, wann sie wieder eintreffen würden. Die Flugzeiten wurden gemessen und Preise für die schnellsten Wettflieger vergeben.

Keine der für den Wettkampf ausersehenen Tauben hat sich je gesagt: „O nein, ich werde ihnen den Gefallen nicht tun, ich nutze die Gelegenheit und schlage ihnen ein Schnippchen, ich beschäme den Untertanengeist meiner den Menschen hörigen Sippe und fliege ins Freie, ins Offene.“

Menschen züchten, dressieren, erforschen und essen Tiere – nicht umgekehrt.

Was uns aber eigentlich fasziniert, sind wilde, ungezähmte, nicht ins Menschentum eingehegte Tiere – wie mich die Waldtaube, im Gegensatz zu der schon häßlich degenerierten gewöhnlichen Straßentaube.

Die Faszination durch die wilde, noch ungebändigte Natur wird wohl in der Vorromantik wie bei Rousseau und der Romantik wie bei Novalis und Eichendorff, hernach im Expressionismus und in neuer Dichtung wie bei Trakl und Rilke („Der Panther“) ein immer neu hervorbrechendes Thema; doch steht sie eigentlich am Beginn der künstlerischen Formung des menschlichen Bewußtseins wie in den Höhlenmalereien der Steinzeit.

Dem Kultivierten, der in der kulturellen Differenz des Rohen und Gekochten erzogen wurde, ekelt vor dem Verzehr rohen Fleisches; die Bakchen zerreißen im dionysischen Rausch Tiere, ja die verblendete Mutter den Sohn Pentheus.

Mit dem Schnabel picken; mit den Händen essen. Die geduldig erlernte Kunst, Messer und Gabel zu benutzen.

Der Wahn rückt den Kranken zurück in vorzivilisatorische Bewußtseinslagen.

Die Schamanen wähnen, fliegen zu können.

Hölderlin kommt nach Ausbruch der Krankheit in die gefährliche Nähe chaotischer Mächte, wie der Titanen, der Totengeister, der Stimmen aus dem Abgrund.

Nach Austreibung der Dämonen durch aufgeklärte Pfaffen und bieder-liberale Theologen wird das Christentum schal und fade.

Manche dekadente Dichtung wirkt im besten Falle noch wie ein Magenbitter nach einem zu üppigen Festschmaus.

Die Heroen der griechischen Mythologie und Dichtung wie der zornige Achilleus und der Kapitän der Argo haben einst dem schüchternen Pennäler Schauer über den Rücken gejagt.

Der Transhumanismus mit seinem grauen Wahn, den Menschengeist in neuronalen Maschinen zu verewigen, mutet wie eine letzte lächerliche Verleugnung der archaisch-animalischen Ursprünge des menschlichen Bewußtseins an.

Groß dünkt uns nur, was wie absichtslos, ja unbewußt aus den dunklen Tiefen des Daseins emporwächst, wie die rätselhaften Organismen der Pflanzen und Tiere.

Betrachten wir die früh ans Licht tretenden, aber schon vollkommenen Formen der griechischen Dichtung wie das Chorlied und den Hymnos als Gewächse, Blumen des Munds gleichsam, wie der Dichter des letzten Hellenismus deutscher Zunge es nannte, verstehen wir die Faszination, die immer wieder von ihnen ausstrahlte.

Freilich, nur in der Kunst können wir geistig unbeschadet die Lampe des Sublimen dann und wann mit einem buntscheckig bemalten Schirm versehen und sie geisterhaft-vibrierende Schatten an die Wände unserer bürgerlichen Behausung werfen lassen; öffnen wir die Schleusen urtümlicher Wildheit im sozialen Umgang, verwahrlosen die Sitten und wir können uns bald selber nicht mehr trauen, geschweige denn unserem Nachbarn, der statt wie bisher höflich zu grüßen, aller Hemmungen entledigt vor uns ausspuckt.

Wie Nacht auf Tag, Mond der Sonne folgt den Domestikationen von Wildgetreide und Wildtieren, der Bändigung des Feuers, der Formung und Bemalung und dem Brand von Tongefäßen sowie der Verhüttung von Metallen und ihrer Verfertigung zu Waffen und kostbarem Geschmeide für die Elite der Krieger und Priester-Herrscher in den mittels Aufschreibsystemen verwalteten palast- oder burgzentrierten Siedlungen immer auch und immer wieder der Einbruch des Wilden und Undomestizierten im Rausch der Feste mit ihren Maskentänzen und dionysischen Chorgesängen.

Die Tragödie vereint die Rationalität des Diskurses einzelner Protagonisten mit dem wilden Jubel- und Klageruf, dem zwielichtigen Pathos der Masse.

Die deutsche Klassik hat die Schauer und das Faszinosum ursprünglichen Daseins zur Bewunderung der großen Leidenschaft und zur sentimentalischen Erquickung an instinktgedämpfter Anmut gemildert; über all dem liegt ein zauberhaft schimmernder Schleier der Schwermut. Rilke war der letzte Dichter deutscher Sprache, der diesen Schleier im hohen Stil seiner Sonette an Orpheus und der Duineser Elegien hat wegreißen wollen, um die Nähe des Unheimlichen und Fremden im Eigenen nicht nur zu zeigen, sondern ihre animierenden Pollen und Wohlgerüche in die dumpfe Stube des Untermieters bei der immer hüstelnden, abgemagerten Witwe Melancholia wie den Duft ferner Gärten ins aufgestoßene Fenster des Schlafs einströmen zu lassen. Doch auch sein später hymnischer Gesang mündet in die Klage.

 

Feb 6 25

Wolken gleich ein Lebewohl

Tags ballen sich, zerfließen Gischt und Wogen,
nachts säumt wie Rüschen weiches Wellenkräuseln.
Durchs Herzgeflecht kommt erst ein Sturm, dann Säuseln,
den Wolken gleich ein Lebewohl gezogen.

Ein Hauch, und Blüten schwimmen in den Schalen,
ein später Strahl, und Veilchen wollen weinen.
Das Tropfen weckten aus geborstenen Steinen,
ergrüntes Moos wird unterm Monde fahlen.

Füllt klingend sich das Glas mit goldner Feuchte,
in dunklen Kellern mußte lang sie reifen.
Daß er die Nacht der Schwermut uns erleuchte,

gingst, Dichter, du dem Wort ein Licht entzünden.
Es lächelt, wen der sanfte Strahl mag streifen,
muß in den stummen Abgrund er auch münden.

 

Feb 5 25

Sonett an müde Dichter

Schwebt auch die Flocke Wort noch hoch im Blauen
und schimmert auf im Säumen später Strahlen,
im Dämmerlicht des Zweifels wird sie fahlen,
wird an der Schwermut stummen Monds ergrauen.

Wir sind auf früh gebahntem Pfad gegangen,
vom Orient bis an die Bernsteinküste,
doch keiner ist, der noch von Sängen wüßte,
die in Oasen keusche Brunnen sangen.

Laß, müder Dichter, dich vom Schnee nicht blenden,
nicht von entrückter Erde Traumgewand,
das bald zerrinnt, wenn Lerchen jählings steigen.

Nach neuen Quellen schürf mit heißen Händen,
daß sich befeuchtet dürrer Ödnis Land
und graue Herzen sich dem Rauschen neigen.

 

Feb 4 25

Jenen, die durchs Leben hinken

Sie können Grinsen, Feixen nicht ertragen,
die Scheuen, die vorm grellen Worte weichen
ins Flüstern milder Schatten, ihresgleichen.
Sie stottern, sollen sie von Liebe sagen,
o wie sie vor der Rose Glut erbleichen.
Sie können das verkniffne Antlitz nicht ertragen.

Und die gesenkten Blicks durchs Leben hinken,
als lasteten auf ihren Schultern Scheite,
nur schwacher Sehnsucht Strahl ist ihr Geleite.
Doch wenn im Schnee die keuschen Sterne blinken,
erahnen Himmels ungeheure Weite
auch die gesenkten Blicks durchs Leben hinken.

Ein zarter Dorn war’s, der da riß die Wunde,
und unter keinem Kuß mocht sie vernarben.
Sie lauschen Quellen nach, die lang schon starben,
als kehrte noch die unversehrte Stunde.
Im Sommer war’s mit seinen goldnen Farben,
da ihnen riß ein zarter Dorn die Wunde.

 

Feb 3 25

Der Aussatz auf dem Asphalt

Die unter Dornen fielen, blindlings, Samen,
das fahle Licht wird sie nicht auferwecken.
Gleich Händen, übersät von Altersflecken,
kein Hauch, kein Kuß rührt auf ertaubte Namen.

Du sahst, wie Disteln aus Metopen drangen
und bittrer Lattich wuchs auf Tempelstufen.
Den Kuckuck hörtest du im Haine rufen,
wo Ödipus einst Nachtigallen sangen.

Preß, Dichter, nicht dein Ohr aufs gelbe Moos,
es ist ein Aussatz nur auf dem Asphalte.
Die Ader hat ein Eisenzahn zerbissen,

verklungen ist der Quell in Gaias Schoß.
Was tief im Schlaf dir Melusine lallte,
erstickt in deinem angstzerdrückten Kissen.

 

Feb 2 25

Die Inschrift auf dem Grabe

Wie Schnee auf Gipfeln glänzt und Abgrund funkelt,
bezeugt das Diadem, Wort von Propheten.
So blendete das Licht von Hochgebeten,
das uns obszönes Wortgespinst verdunkelt.

Als unter grüner Wipfel Schatten schliefen,
die einen weiten Pilgerweg gegangen,
war ihnen, als ob Edens Wasser sangen.
Wir treiben schlaflos über stummen Tiefen.

Nimm, Dichter, einen Strahl von dem Geschmeide,
laß küssen ihn die Inschrift auf dem Grabe,
damit sie unsre Dunkelheit erleuchte:

„Es füllten Engel ihm des Herzens Wabe,
die Süße gab er hin dem bittern Leide.“
Daß uns Erinnerung das Auge feuchte!

 



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