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Apr 26 25

Archaisches Lächeln

Wie unter hohem Sternensang Entrückte
sind jene frühen lichtverwöhnten Koren,
aus trunknen Perlmutts Muschelschaum geboren,
o daß der Charis Lächeln sie beglückte.

Als habe übersprengt mit feuchten Funken
Aurora eines Schläfers blasse Wangen,
sind sie erwacht, um lächelnd zu empfangen,
was im Korallengrund des Traums versunken.

Uns scheint die Sicht von Schattenschilf vergittert,
es kommt kein Gott, herab es uns zu biegen,
wie flehen wir um Nacht, vom Tag verbittert.

Nur wenn uns Mozarts Melodien wiegen,
sehn wir an Knospen noch, was selig zittert,
auch wenn wir schon am Rand des Abgrunds liegen.

 

Siehe auch:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a5/ACMA_671_Kore_1.JPG
https://de.wikipedia.org/wiki/Archaisches_L%C3%A4cheln#/media/Datei:Cavalier_Rampin_-_Louvre_2014.JPG

 

Apr 25 25

Die unbeschwerte Anmut

Des einen Zeilen kleben wie die Mücken
im Lügen-Sirup auf verfaultem Brot.
Sie zappeln noch, doch ist ihr Sinn schon tot,
erstickt an selbstgefälligem Entzücken.

Des andern Reime sind wie Apfelsinen,
die winters glühen am entlaubten Ast.
Wie gleicht sein Vers dem ungeladenen Gast,
der uns betrügt mit gleisnerischen Mienen.

Beschwer die Anmut nicht mit Edelsteinen,
die ihrem Aug den sanften Glanz entwenden.
Wähl, Dichter, von den Bildern nur die reinen,

die, was verschwiegen, schweigend uns noch spenden.
Daß stumm die Träne wir des Abschieds weinen,
zeig uns der Lilie Schnee in keuschen Händen.

 

Apr 24 25

Im Reich des Irrealen

Die Flamme des Gedichts kann nichts versengen,
vom Hauch entfacht, singt Asche sie aus Lettern.
Der Blitz des Sinns, er muß sich selbst zerschmettern,
aufseufzt der Vers nur, wenn ihn Rhythmen zwängen.

Der Muse Kuß schmatzt nicht von feuchten Zungen,
und ihre Brüste sind wie blasse Blasen,
gefüllt mit allegorisch-dünnen Gasen.
Langt Hermes hin, ist Zwillingssinn zersprungen.

So schweben wir im Reich des Irrealen
an Zwielichtfäden, Zwirn, im Schlaf gesponnen.
Wir sehen sie, kaum aufgeblüht, schon fahlen,

des Mundes Blume, Schwester kalter Sonnen.
Bleich, wie Naive die Madonnen malen,
ist ihr der letzte Reim vom Lid geronnen.

 

Apr 23 25

Doppelgänger

Ich schlafe auf Etruriens Grabeshügeln,
wo warm der Sand und sanfter rieselt Stille.
Mir träumt, wie fern ein weiches Wasser quille,
wie Schatten in die blauen Nächte flügeln.

Ich liege bei den Menhir-Monolithen,
die unterm Strahl des Mondes dunkel tönen,
als könnten Ahnengeister sie versöhnen,
die Seele, jäh vom Sonnendolch zerschnitten.

Du aber tanzt mit einer Knospe am Revers,
die an der Schwermut Gitter aufgesprossen,
in eines trunknen Abends Ungefähr.

Doch ist ihr süßer Duft schon bald verflossen
in tote Dünste von Urin und Teer.
Das Tor, weinlaubumrankt, war zugeschlossen.

 

Apr 22 25

Die trunknen Knospen Mozarts

Kurz aufgeflackert wie ein Traumgesicht,
im Nu des Dunkels langer Qual enthoben,
fiel eines Lächelns Blüte von dort oben,
entsprossen unter fernem Himmelslicht.

Und keine Schale war, den weichen Schnee,
kein Herz, den Flockenschimmer aufzufangen.
Er ist geschmolzen wie auf heißen Wangen,
versunken wie der Schaum der Orchidee.

So sind erloschen auch die Silbertöne,
die aus dem Schilf der Serenade sprühten,
als ob die Wildnis Sternenglanz versöhne.

Du aber wähntest, daß die kaum erblühten,
die trunknen Knospen Mozarts jäh verhöhne
Gischt der Lagune, der Chimäre Wüten.

 

Apr 21 25

Der Strom der Dichtung

Was in die Nacht Ophelia getragen,
es war ihr Lied, ein Strom von wilden Klagen.

Wie durch den Karst ein Fluß sich Ufer sticht,
und in der Ödnis will ein Bleiben grünen,
mag sich des Wortes feuchte Glut erkühnen,
wenn sie die Kruste unsres Schlafs durchbricht.

Laßt uns es sehen, wie Gesang betaut,
die schon herabgebeugt, todmüde Seelen,
daß sie sich recken gleich beglänzten Stelen,
wie Knospen, denen Luft der Liebe blaut.

Wohin er zieht, wir können es kaum ahnen,
der Strom der Dichtung, dunklem Grund entquollen.
Mag er zum Meer den Schlangenpfad sich bahnen,

befruchten ferner Enkel dürre Schollen,
aus Schlämmen wühlen noch Geseufz der Manen,
mag fern verrauschen er in Traumes Stollen.

 

Apr 20 25

In die Irre gegangen

Es fügt der Schlußstein sich zur Mitte dicht,
und über uns fließt zart des Maßwerks Licht.

 

Die Angst verlockt uns in ihr Labyrinth,
und wir mißtrauen selbst gewohnten Worten,
als wären Mauern sie, verschlossene Pforten,
und wissen nicht mehr, wer, wozu wir sind.

Dann wieder hat aufs Glatteis uns gejagt
verwirrter Fragen Sturm, wir rutschen, gleiten.
Statt Arm in Arm gemach ans Ziel zu schreiten,
zieht eins das andre nieder, wild-verzagt.

Wir fühlen nicht die Rhythmen mehr, die tiefen,
im Meer des Epos hin- und widerfluten.
Als ob in harten Kapseln Düfte schliefen,

in Lethes Dunkel Rosen Sapphos bluten.
Die Stimmen, die uns aus dem Irrsal riefen,
betäuben nun wie schwarzer Sonne Ruten.

 

Apr 19 25

Epiphanien der Klage

Du gehst hinaus, da hockt sie auf der Treppe,
sie lächelt auf zu dir, der Nymphe gleich,
die nachts herumgeirrt am toten Teich.
Tritt nicht auf ihrer Seufzer graue Schleppe.

Und liegst du spät noch unterm Dämmerlaube,
da schläfrig tropft herab ein matter Tau,
fahlt träumerisch gewiegt Gefieder grau.
Erkenn am dunklen Gurren sie, die Taube.

Und sinken hin gesanglos deine Tage,
als wäre nie ein Musenquell entsprungen,
am letzten neigt sie sich dir zu, die Klage,

und hält den bleichen Arm um dich geschlungen.
Daß deine Schwermut noch zu atmen wage,
bis sie ihr süßes Lied dir hat gesungen.

 

Apr 18 25

O Hauch der Nacht

Kartage-Sonett

Nacht zwischen all den Sonnen, Nacht und Nacht.
Corona jeden Wortes, strahlt die Stille.
Wer mag von Leere reden, wer von Fülle?
Des Morgens Rose dämmert, welke Pracht.

Durch Gärten gehst du, blühendsten Verfall.
Die Mauer zeigt dir schon, das Wort die Spalten,
wo graue Moose sich und Schatten ballten
und was im Schlaf herniederrinnt, Gelall.

Und doch sprach Segen jener bei dem Mahle
mit Flammenzungen über Brot und Wein,
daß nimmer ihnen das Gedächtnis fahle.

Uns blieb vorm Kreuz der stumme nur, der Stein,
da wir der Kerzen banges Flackern sehen.
O Hauch der Nacht, o schwarzer Flocken Wehen.

 

Apr 17 25

Die Entsprungene

Jäh hat dich, sonst von Schatten ernst umschlossen,
wie Inseln keuschen Sands im Ozean,
wie Schnee von Blüten, die sich aufgetan,
ein Lächeln kühlen Mondlichts überflossen.

Auf deiner Lippen samten-roter Schwelle,
die noch kein grauer Zweifel je betrat,
erglomm wie Tau auf purpurnem Brokat
ein feuchter Glanz, ein Hauch verborgner Quelle.

Ja, dies geschah, als um uns Dunkel wehte
traumdichtes Gras und fahles Rauschen stieg,
als lägen wir im Uferschilf der Lethe.

Dich aber weckte auf der Sonne Sieg,
wie heißer Zonen Wild bist du entsprungen.
Ich sank zurück, ein Schwamm, der ausgewrungen.

 

Apr 16 25

Die Götter Griechenlands

Wie Gips schmolz – was? Die Götter Griechenlands,
auf Neckars Dämmerauen noch beschworen.
Nun ist Apollons Blondgelock geschoren,
verblich der Goldsaum pythischen Gewands.

Es blieben nur Chimären, Geistersang.
Nicht lächelt Aphrodite queeren Drohnen,
und Charis würgt’s vom Schweiß der Amazonen.
Die Muse peitschte Jazz: Sie nahm den Strang.

Du hörst nicht die homerisch-grüne Welle
die fahle Muschel Ithaka beklagen.
Du fühlst nicht, was dir netzt des Schlafes Schwelle,

rührt noch von Amphitrites Flossenschlagen.
Sind Diotimas Inseln, Eros’ Funken
schon in ein schwarzes Weltenloch gesunken?

 

Apr 15 25

Verwischte Spuren

Den Abendhauch, den kühlen, spürst du kaum,
doch kräuselt sich der See, und Tropfen scheinen
still auf des Wassers zarte Haut zu weinen,
schon schwebt herab Selenes blonder Flaum.

Du hörst das Schluchzen deines Schritts im Schlamm,
die Spur wird bald verfüllt vom Lehm, dem feuchten,
Es können Knospen schlaffen Lids nicht leuchten,
die Harze stocken am verfaulten Stamm.

Hier ist die Bucht, wo träg die graue Vene
das ausgelaugte Blut ins Schilf ergoß.
Nein, sage nicht, daß Liebe sich noch sehne

nach dem Gesang, der hellen Nächten floß.
Hier ist versandet er, versickert sind die Namen,
die aus der fernen Heimat Quelle kamen.

 

Apr 14 25

Die Ägypterin

Wie die Ägypterin den schwanken Krug,
hat sie aus Brunnendunkel ihn gezogen,
ein Flimmern vor der Isis Silberbogen,
trägst eignen Lebens Fülle du genug.

Sie aber geht, was Glanz der Armut leiht,
zu schütten über Schultern und in Schalen,
daß auferweckter Knospen Augen strahlen.
Es wirren Fäden Lichts, sie wringt ihr Kleid.

Was dir ward aufgebürdet, Herthas Last
an Scheiten, mußt du durch die Schneenacht tragen
zum Vaterhaus, wo du nun weilst als Gast,

zu sorgen für der Fremden Wohlbehagen.
Du schürst die Glut, Waldgeister, Feen singen,
die selbst der Hathor wildes Herz bezwingen.

 

Apr 13 25

Die Flucht nach Arkadien

Καὶ ποιμένες ἦσαν ἐν τῇ χώρᾳ τῇ αὐτῇ ἀγραυλοῦντες καὶ φυλάσσοντες φυλακὰς τῆς νυκτὸς ἐπὶ τὴν ποίμνην αὐτῶν. καὶ ἄγγελος κυρίου ἐπέστη αὐτοῖς καὶ δόξα κυρίου περιέλαμψεν αὐτούς, καὶ ἐφοβήθησαν φόβον μέγαν. καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ἄγγελος· μὴ φοβεῖσθε, ἰδοὺ γὰρ εὐαγγελίζομαι ὑμῖν χαρὰν μεγάλην ἥτις ἔσται παντὶ τῷ λαῷ, ὅτι ἐτέχθη ὑμῖν σήμερον σωτὴρ ὅς ἐστιν χριστὸς κύριος ἐν πόλει Δαυίδ. καὶ τοῦτο ὑμῖν τὸ σημεῖον, εὑρήσετε βρέφος ἐσπαργανωμένον καὶ κείμενον ἐν φάτνῃ. καὶ ἐξαίφνης ἐγένετο σὺν τῷ ἀγγέλῳ πλῆθος στρατιᾶς οὐρανίου αἰνούντων τὸν θεὸν καὶ λεγόντων·δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη ἐν ἀνθρώποις εὐδοκίας.

Lukas, 2, 8–14

Und da waren Hirten auf dem Feld, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie ängstigten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteilwird: Es ist euch heute der Retter geboren, der ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und dies ist für euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kindlein finden, gewickelt in Windeln und in einer Krippe liegend. Und plötzlich war um den Engel die Menge der himmlischen Heerscharen und sie priesen Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willens sind.

 

Laß, Liebe, uns aus dieser Dürre flüchten,
wo Rauschen schläft tief unter dem Asphalt.
Hier bleibt das Herz an greller Lampe kalt,
verzerrt sieht eins des anderen Gestalt.
Laß uns aus dieser Dürre, Liebe, flüchten.

Wir wollen, Liebe, nach Arkadien wandern
und sehen, ob noch Quellen, blaue, sind,
der Mond noch küßt umschilfte Knospen blind
und süßen Liedes Duft uns bringt der Wind.
Wir wollen nach Arkadien, Liebe, wandern.

Laß, Liebe, uns vergilsche Hirten fragen,
wenn sie im milden Abendsonnenschein
uns Becher reichen voll mit goldnem Wein,
ob sie gehört das hohe Benedein.
Laß uns vergilsche Hirten, Liebe, fragen.

Wir wollen, Liebe, heimwärts nicht mehr kehren,
wenn auch die Hirten sagen: „Ach, hier war
kein Glanz, kein Sang aus hoher Engelschar,
wir wandeln trostlos, aller Gnaden bar.“
Wir wollen heimwärts, Liebe, nicht mehr kehren.

Laß, Liebe, uns bei bittern Quellen schlafen,
wo ausgespien das Lied vor Zeiten schon
der Überdruß, der Schwermut wüster Sohn.
Lang ist der Schlaf, genährt von schwarzem Mohn.
Laß uns bei bittern Quellen, Liebe, schlafen.

 

Apr 12 25

Tote Herzen

Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ
καὶ τῶν ἀγγέλων,
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω,
γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ
κύμβαλον ἀλαλάζον.

1 Korinther 13, 1

Schwadronierte ich, wie Menschen tun,
und schluchzte auch mit Engelszungen,
doch kennte stille Liebe nicht,
hohl dröhnend Blech wär ich,
scheppernd eine Rassel.

 

Es kann uns kein Geschwätz der Not entreißen,
nicht die durch Phrasendickicht schlängeln, Zungen,
nicht was sirenenhaft die Nacht gesungen,
wenn dürstend wir die Lippen blutig beißen.

Die Spiegel trüben uns Verwesungsdünste.
Was wir im irren Blick der Wollust sehen,
sind Gluten, die um Lethes Wasser flehen.
Im Leeren schweben wir wie Traumgespinste.

Daß aufgetan uns würde jene Schneise,
die Lichtung, wo das Kreuz der Liebe ragt
und um uns flockt das Wort wie Schneien leise,

bleibt uns, vom eignen Maulen taub, versagt.
Wir schlagen blind aufs Blech von hohlen Becken,
die toten Herzen können wir nicht wecken.

 

Apr 11 25

Gerank von Versen

An überkreuzten Maßwerks zarten Gittern,
erweckt von milden Himmels milder Leuchte,
genetzt von wehmutblauer Abendfeuchte:
Gerank von Versen, leiser Reime Zittern.

Ins Dunkel hat gesenkt der Gärtner Samen,
ob sie geerbt, ob sie ihm zugeflogen,
das Erbe hat, den Fund er aufgezogen,
er kennt des Wachstums Nacht, der Sterne Namen.

Uns aber freut, das weiche Grün zu sehen,
und wenn sich strahlend aufgetan die Augen,
still atmend, einsam oft, entlangzugehen,

mit holder Liebe auch, um einzusaugen
tief Düfte, deren Zauber sanft entrücken,
die Blüte ihr, der Anmut Bild, zu pflücken.

 

Apr 10 25

In jenen Welten

In jenen Welten, sprach er, ist Kristall
der Schmerz geworden und ihn bringen
erglühter Monde Strahlen zum Erklingen,
erloschen ist der Drangsal Feuerball.

Dort wandeln wir, der Liebe Schattenspiel,
vor sanften Himmels sanft erhellten Weiten,
dort beben wir wie orphisch-trunkne Saiten,
Akkorde, steigend, sinkend, sonder Ziel.

Das sagte er, da er im Sterben lag.
Blaß war sein Antlitz wie die letzte Rose,
die du ihm noch gepflückt im stillen Hag,

wo eure Wangen kühlte einst im Moose
Tau, fahlem Laub der Dämmerung entronnen,
dem Abendlicht sein goldnes Vlies gesponnen.

 

Apr 9 25

Kein Grund zu weinen

Ich sah der Rose müdes Haupt sich senken,
und taumelten im Halbschlaf schon die Bienen,
noch kreisten auf dem Teich, vom Mond beschienen,
zwei Schwäne. Und ich mußte dein gedenken,

wie du sie mir gereicht, Adonisblüten,
süß war der Duft, der ihre und der deine.
Wie schnell war er verweht wie Flusen, feine,
wie Rauch von fahlen Aschen, ausgeglühten.

Ach was, aus Worten hab ich bloß gewoben
den Garten, Blumen, Bienen und den Teich,
aus Wortes dunklem Spiegel es gehoben,

der Liebe Antlitz, süß und wehmutbleich.
Warum denn weinen, weil es rasch verblaßte?
Es sind nur Reime, die ein Narr verpraßte.

 

Apr 8 25

„Seelenfrieden“

Das einzig Echte, sagt er, war die Wunde,
sie hielt ihn wach, ließ fühlen ihn und schreiben,
es konnte ihm das Wort sich nur verleiben,
quoll es wie Blut hervor, Blut aus dem Munde.

Sie ist auf seiner tauben Haut gewandert,
sagt er, gleich Furchen, die das Wort sich schürfte,
als ob Empfindung überfließen dürfte,
bevor sie langsam hin zum Meer mäandert.

Vernarben soll sie nun und ganz verheilen,
in einer Klinik namens Seelenfrieden.
Ein Pharmakon soll gnädig sie zerteilen,

das Wort, den Schmerz, zu hausen abgeschieden.
Wie Plastikkitsch am Bett von Sterbensmatten
ist, sagt er, blutleer nun sein Vers, ein Schatten.

 

Apr 7 25

Anämie

Dort trug durch Ginster dich ein Hauch so lau
zum See, wo dir der Morgen feenzarte
Gespinste im betauten Schilf verwahrte,
und wie der Azur war dein Auge blau.

Dort war die Stimme, die den Knaben rief,
an Bord zu kommen, heimlich wie die Pforte,
die nie verriegelte am Rebenhorte,
wo auf der Schieferglut die Echse schlief.

Hier hat dich Dämmerdickicht eingeschlossen,
ein Zwielicht, das dir Tag und Traum verwehrt,
die goldne Stimme Sommer ist verflossen.

Hier graut das Herz, wenn es das Blut entbehrt,
in dem ins Südland lockend Sonnen singen,
der Geist durch Aschen schleift die matten Schwingen.

 

Apr 6 25

Der Honig südlichen Lichts

… die schattenumrankte, unheilvolle deutsche Seele.

Denn alles, was nicht ins Bewußtsein steigt, kommt als Schicksal zurück.

Christian Kracht, Eurotrash

 

Blieb dunkel, was gefühlt sie und gedacht,
gleich Abgrundwassern, Trank von Schattenseelen,
was aber niederrann von Asphodelen,
war dunkler Glanz vom Tränenstrom der Nacht.

Vergiftet sei das Blut vom schwarzen Mohn,
den sie im Fusel mit der Asche mischen,
der steten Wolke über deutschen Tischen,
sagst du, des Chaos und der Moira Sohn.

So sind sie aufgebrochen denn vergebens,
im Südland Honig, goldenen Sanges Waben,
uns heimzubringen, Licht erfüllten Lebens,

sie, Dichter, die dem Versfuß Anmut gaben,
und wir im Dickicht wilden Stammelns schauen,
wie in der Lichtung stille Veilchen blauen?

 

Apr 5 25

Der alte Eichenstamm

Blind abgeschabt der Rinde Palimpsest,
nur lesbar noch dem Mond. Verschränkt sich biegen
zwei wie im Krampf erstarrte Wurzeln. Doch wiegen
im Wipfel Winde sacht ein Vogelnest.

Rings rupfen Kühe Löwenzahn und Klee,
sie zucken manchmal, ächzt es im Gezweige,
als quille Mark, zersplittre eine Geige.
Der Eicheln Bitterkeit scheut selbst das Reh.

Der alte Stamm, er scheint schon zu verwittern,
doch will am süßen Licht ein Blatt ergrünen.
So rankt an dämmerzarten, morschen Gittern

die Knospe Vers, umsummt von trägen Bienen,
hat aufgetan sie sich den späten Strahlen.
O Blume mit dem müden Lid, dem fahlen.

 

Apr 4 25

Der nächtliche Gast

Wirst in der Nacht wohl an die Türe klopfen,
wohnst in der Nähe ja, hast es nicht weit.
Zu gehn mit dir, ich wäre schon bereit,
doch trinken wir zuvor noch goldne Tropfen.

Dieweil magst du von jenen mir erzählen,
die sich versteckt vor dir, dich ängstlich flohn.
Wie du Verlaine geträuft ins Blut den Mohn,
sich Karoline wollt mit dir vermählen.

Das Glas ist leer, du breitest deine Schwingen,
ich klammre mich an ihren Purpurflaum,
wir fliegen hoch, fern höre ich dich singen.

Tief rauscht der Strom, an seinem Ufersaum
seh ich die Pappeln noch, seh Rebentrassen.
Dann alles still, die frühen Bilder blassen.

 

Inspiriert durch Franz Schuberts Klaviersonate B-Dur, D 960, erörtert von Sir András Schiff, insbesondere 1:19 ff.

Siehe:
https://www.youtube.com/watch?v=ViZu8ATTqc8&t=575s

(Hinweis zum Verständnis: Karoline = Karoline von Günderode)

 

Apr 3 25

Gebrüll von Gnomen

οὐκ ἔσθ’ οὗτος ἀνὴρ διερὸς βροτὸς οὐδὲ γένηται,
ὅς κεν Φαιήκων ἀνδρῶν ἐς γαῖαν ἵκηται
δηιοτῆτα φέρων· μάλα γὰρ φίλοι ἀθανάτοισιν.
οἰκέομεν δ’ ἀπάνευθε πολυκλύστῳ ἐνὶ πόντῳ,
ἔσχατοι, οὐδέ τις ἄμμι βροτῶν ἐπιμίσγεται ἄλλος.

Odyssee, 6, 201–205

 

Wahrlich, der lebt noch nicht, und niemals wird er geboren,
Welcher käm’ in das Land der phäakischen Männer, mit Feindschaft
Unsre Ruhe zu stören; denn sehr geliebt von den Göttern,
Wohnen wir abgesondert im wogenrauschenden Meere
An dem Ende der Welt, und haben mit keinem Gemeinschaft.

Johann Heinrich Voß

   

Der Dichter schläft, sein Auge aber wandert
durch Farne, Dämmerung der Endmoränen.
Vergebens sucht nach Schneelicht es bei Schwänen,
solang es feucht vom Tau des Monds mäandert.

Und wacht er auf, liegt auf zerknülltem Linnen
das Buch, die Odyssee, noch aufgeschlagen.
Zu matt mag er Delphinen nach nicht jagen,
nicht Salzflut fühlen in den Nacken rinnen.

Er blättert, möchte heitern Spielen nah
den Rufen scheuer Mädchenanmut lauschen,
den Namen nennen, ihn, Nausikaa.

Da bricht er los, der Lärm der Erdmaschinen,
er hört statt ferner Meereswellen Rauschen
Gebrüll von Gnomen, die dem Mammon dienen.

 

Apr 2 25

In die Fremde gehen


ἔσσεται ἦμαρ ὅτ’ ἄν ποτ’ ὀλώλῃ Ἴλιος ἱρὴ

Ilias VI 448

 

Einst wird kommen der Tag, da Ilios fällt, das uns heilig

Gerhard Fink

 

Im Wissen, Ilios, die heilige, müsse fallen,
nimmt Hektor Abschied von Andromache,
ihr Bild verschwimmt schon in Hesperiens Schnee,
Astyanax hört er von fern noch lallen.

Sie aber würde in der Fremde tragen
Amphoren von den rätselbittern Quellen,
mit Tränen netzen die verhaßten Schwellen,
nie mehr ein Wort der Muttersprache sagen.

Auch du wirst, Dichter, in die Fremde gehen,
als Wegzehr müssen dir die Flocken dienen,
die aus erloschenen Himmels Abgrund wehen.

Die Waben laß, den Honig goldner Bienen,
die um der Heimat holde Blüten summten.
Die dich genährt, die Lieder, sie verstummten.

 

Apr 1 25

Verse, Flocken

Verse atmen, ohne zu verstehen,
Flocken, sanft wie leisen Abschieds Wehen,
und des Abends dunkle Pfade leuchten.
Laß uns schweigend Hand in Hand noch gehen
und die Stirn von lichtem Schaum befeuchten.

Perlen, die an trunknen Wimpern glimmen,
wehmutsüße Lichter, die verschwimmen,
und die Verse schmelzen hin wie Flocken.
Lauschen still wir weichen Wassers Stimmen,
die uns in das Schilf des Schlafes locken.

Mußt du einsam durch beschneite Weiten,
über denen Schwermutnebel gleiten,
in die dämmernde, die Ferne gehen,
mögen Stimmen, helle, dich geleiten,
Verse, Flocken, die herniederwehen.

 

Mrz 31 25

Ein Herz voll dumpfem Mull

Verblichener Samt, Kopfkissen wie zerstochen.
Er liegt gekrümmt, zerfleddert liegt das Buch,
und fand ihn nicht, den Vers, den Wohlgeruch,
ist jäh ins Loch des Schlafes eingebrochen.

Es wird ihm schwer, ins Wirkliche zu kriechen,
wo seiner nichts als Schmerzroutine harrt,
wo Lust am Firnis trüber Bilder scharrt,
auf mürben Decken zittert, die schlecht riechen.

Er lauscht nicht mehr, ob auf der morschen Stiege
ein Knarzen von vertrauten Schritten kündet.
Ihm ist, als ob sein Schatten ferne liege,

wo sie ihm einst den dunklen Sinn entzündet.
Daß er nichts fühlt, wenn Tau der Milde tropft,
hat er sich dumpfen Mull ins Herz gestopft.

 

Mrz 30 25

Der klare Trank

Zu fernen Gipfeln wölken Chorgesänge,
wie Veilchen blau und weiß wie Schnee von Schlehen.
Wenn einsam wir zu dunklen Ufern gehen,
erglüht im Abendrot noch ihr Gepränge.

Die aber weicher tönen, Edens Wasser,
sie wecken Halm und Moose, daß sie leuchten,
doch können unsern Mund sie nicht befeuchten,
sieh, seine Blume ward nur immer blasser.

Glänzt aber, Dichter, dir noch Tau im Kruge,
geronnen aus dem Blattwerk grünen Lichts,
laß trinken uns die Klarheit Zug um Zuge,

scheu nicht die Trübsal unsres Angesichts.
Doch sparen wir, was du hinab kannst gießen,
daß helle Knospen Erdennacht entsprießen.

 

Mrz 29 25

Versgespinste

Die alte Spinne hat ihr Netz gesponnen,
im kühlen Sternlicht zittert es, im Sonnen-
schein aber schwingt’s die Schar vermummter Mücken.
Ein ephemeres Leben, kaum begonnen,
träumt, bis es Kiefer, schmatzende, zerdrücken.

Die Katze rollt das Knäuel feiner Wolle,
stößt mit der Tatze, faucht, als ob sie grolle,
und balanciert es auf wachsweichen Ballen.
Als riefe Nacht, daß sie ihr dienen solle,
läßt sie es indigniert ins Leere fallen.

Der spinnt die Verse, Sonnenfäden, weiche,
sie glitzern, silberdistelflusengleiche,
doch müssen sie im Abendhauch ermatten.
Der salbt das nackte Wort wie eine Leiche,
hüllt’s ins Gespinst vom Mond gereimter Schatten.

 

Mrz 28 25

Frost der Einsamkeit

Bizarre Knospen, Frostes Traumbuchskizzen,
Gespinst an blind gehauchten Fensterscheiben.
Die Sonne brennt, und nichts davon wird bleiben,
kein Tropfen Glanz vom Schmelz der Blütenspitzen.

Die Tränen, die als Kinder wir einst weinten,
wir saßen vor der Tür, von Gott verlassen,
sind fern wie Schweißgeruch in Dorfschulklassen
und Wimpel bunt, die unsre Schar vereinten.

Doch was du mir ins weiche Mark geschrieben,
mit einem Flammendolch aus hohem Mut,
ist nie verblaßt, ist lesbar stets geblieben.

Die Träne, deines Abschieds feuchte Glut,
sie ist im Frost der Einsamkeit geronnen,
zu fahl sind, daß sie schmelze, meine Sonnen.

 

Mrz 27 25

Perlmutt und Schorf der Einsamkeit

Dichters Gang zum Bürgeramt

 

Er liegt da wieder,
unter dem Laternenpfahl,
da liegt er,
am vielbegangenen Zebrastreifen,
und keiner ist, der sich dran störte,
liegt hingestreckt, gefällt im Regen,
der sanft an seinen Plastikschlafsack pocht,
zu sanft, daß er davon erwachte.

Doch gleicht, was ihn hermetisch eingeschnürt,
wohl eher einem Leichensack.
Ob dies Menschending noch atmet,
kannst schwerlich du ermessen.

Er hat das Antlitz sich,
als wär es, das entstellte,
keinem länger zumutbar,
ganz und gar vermummt.

Wie schön sind Pfützen,
trübsalgraue Augen,
die in menschenleeren Parkanlagen vor sich hin
stieren oder flüchtig Wolkenbüschel spiegeln,
sei’s auch, daß ein Sperling sich erfrischt darin,
ein Flügelpaar, ein flatterndes, von Tropfen Lichtes sprüht.
Wie schön sind menschenleere Tische, Stühle,
mit pseudojugendstilverdrehten Plastikarabesken
als Arm- und Rückenlehne.

Saget nun, Musen, flüstert’s
einem, der sich im Garten der Lüste verirrte,
welchem noch zitternden Traumkokon,
aus welcher sphärisch-blaugebauschten Gaze,
welchen Seidenkissen rosigen Seufzens
sind sie entschlüpft,
die blumenhaft-jungen Mädchen,
die Punkt 7 angetreten sind zum Morgendienst
und in alphanumerisch eingeteilten Bürgeramtsabteilen sitzen.

Wie jene, die mit Alabasterglanz betauten Nägeln,
unter samtener Schatten Wimpernbaldachin
verbirgt, enthüllt sie nymphengrüne Blicke,
dir den Ausweis überreicht,
der dich, die heimwehkranke Seele,
wie den dünnen Faden einer periodisch
unendlich gebrochenen Zahl
in das wirre Knäuel Deutschland schlingt,
Knäuel, welches Moira, die unzähmbare Katze,
gelangweilt rollt und wieder fängt
und wieder von sich stößt.

Nahmst du das Flackern eines Lächelns mit
in deine Dichterdämmerstube,
Duft gar, einen Hauch
aus knospenblättrig weich gestuftem Haar,
das nie ein Sturm zerzauste,
Lockengeflecht von Händen,
denen Hornhaut fremd und banges Heimwärts-Tasten?

Er lag noch da,
als den Rückweg du gegangen,
starr und regungslos
lag er noch da,
ein Wrack aus taubem Mark und ausgestöhnter Qual,
wie dafür bestimmt, demnächst von Herkulessen, die krakeelen,
in den dunklen Schlund des Kehrichtwagens
gekippt zu werden.

Du hast ihn scheu umrundet,
doch witternd, ob schon Fäulnis von ihm weht.

Nie werden Muschelschalen-Fingernägel
rokokograziösen Schimmers,
vom Perlmutt der Reime Paul Verlaines,
in Rhythmen mondgewiegter Wollustwellen
ihm den Schorf der Einsamkeit vom Rücken kratzen.

 

Mrz 26 25

Gehüllt in Schatten

ἐπάμεροι: τί δέ τις; τί δ᾽ οὔ τις; σκιᾶς ὄναρ
ἄνθρωπος. ἀλλ᾽ ὅταν αἴγλα διόσδοτος ἔλθῃ,
λαμπρὸν φέγγος ἔπεστιν ἀνδρῶν καὶ μείλιχος αἰών:

Pindar, Pyth. 8, 95–97

 

Tagwesen! Was ist Sein? Was ist Nichtsein?
Eines Schattens Traum ist der Mensch.
Aber wenn gottgeschenkter Glanz kommt,
Liegt helles Licht auf den Männern und freundliche Lebenszeit.

Uvo Hölscher

 

Tagwesen. Was aber ist einer? Was aber ist einer nicht?
Der Schatten Traum sind Menschen. Aber wenn der Glanz
Der gottgegebene kommt,
Leuchtend Licht ist bei den Männern
und liebliches Leben.

Friedrich Hölderlin

 

Wo hochgemut durchs Schilfreich wir gegangen,
nah schwebten Liebesschauer, Knospen, helle,
ist längst versiegt, was sie genährt, die Quelle,
wie fern sind wir, wie fern, was wir dort sangen.

Als wir uns wiedersahn an Dichters Grabe,
verlockte mich der zarte Schmelz der Augen,
vom Honig der Erinnerung zu saugen,
doch war dein Herz wie eine leere Wabe.

So hüll in Schatten ich mich, Schlafes Schwestern,
es malt der Mond sie mir aufs Traumschneelinnen.
Das Heute blaßt, es blaßt das heitre Gestern.

Ich habe nichts als Taues Niederrinnen,
den schwachen Glanz an schwermutdunklen Ranken,
von Asphodelen, die am Nachtsaum schwanken.

 

Mrz 25 25

Papierne Sprachgebirge

Sie wischen Schatten von den Markenblusen.
Geschmeiß des Ungesagten will nicht weichen.
Sie zupfen an verräterischen Zeichen,
die unvernäht geblieben, Zwielichtflusen.

Der Schrei, verschluckt von Pappmaschee-Kulissen.
Aufs Sprachgebirge wirbeln Ascheflocken,
sie schmelzen nicht, die Täler bleiben trocken,
und ist kein Gras, kein Blatt, das sie vermissen.

Kannst du’s durchstoßen mit dem Horn der Mythen,
daß Lüfte in das Irreale fließen,
durchflirrt vom Duft, vom hellen Geist der Blüten,

die auf den Auen des Gesanges sprießen?
Wie, Dichter, ward das Wort zum kahlen Knochen,
das nicht mehr singt, nur ächzt, wird es zerbrochen?

 

Mrz 24 25

Duftgenährter Vers

Es sind uns Sonnenwinde, grünes Glühen,
der Erdennacht versprühend Himmelssagen.
Es sind, die aus dem Schlamm des Schlafes ragen,
die Muscheln, Traumgeseufz von Meeren, frühen.

Wir gingen über Höhn, Tau troff von Beeren,
durch Lauben, flüsternd schon von Goldgeprängen.
Uns riefen Geister von den Rebenhängen,
daß sie im Wein des Dichters wiederkehren.

Es sind umschlungner Reime blaue Venen,
sind Quellen, dürre Sprache zu befeuchten.
Und daß nach Sapphos Hainen wir uns sehnen,

sind Monde, die durchs Abenddickicht leuchten.
Schloß sich die Knospe auch, die früh erblühte,
noch nährt ihr Duft den Vers uns im Gemüte.

 

Mrz 23 25

Im hohen Schnee

Im hohen Schnee siehst du die Linie kaum,
dort muß den Hügel sie vom Himmel trennen.
Du kannst, was unten, oben, nicht benennen,
verwischt die Grenze zwischen Tag und Traum.

Ein Tropfen, der aufs weiße Kissen fällt,
versickernd höhlt er einen Schattenstollen.
Wie die Kristalle in die Erdnacht rollen,
mit ihnen, was gesprüht im Glanz der Welt.

Das Wort erbleicht, die frostbehauchte Rose,
bald schmilzt sein Sinn dahin in süßes Tauen.
Ein Schneeball hängt dein Kopf, der augenlose,

an einem Strahl des Monds im Orphisch-Blauen.
Fern hörst du aschenfahler Zunge Lallen:
O Sommernacht, durchglüht von Nachtigallen.

 

Mrz 22 25

Fadenscheinig

Das Kleid, wie fadenscheinig, abgetragen,
bleich, ausgewaschen sind die Blütentupfen.
Nur nicht am Saum an losen Fäden zupfen,
es löst sich auf, Gespinst aus Jugendtagen.

Du kannst getrübten Sinns sie kaum mehr lesen,
die noch nach Veilchen duften, alte Briefe,
es ist, als ob in Laubes Dunkel schliefe,
was einst dir Glut von roter Frucht gewesen.

Kleid, Briefe mag der Truhe Dämmer bergen.
Verwirf das Wort, gewalkt von tauben Zungen,
zermatscht zum Kauderwelsch von Zeitgeistzwergen.

Es ist ein Kleid, dem Anmut ausgewrungen,
ein Brief, unleserlich, weil ihn geschrieben,
dem reiner Liebe Zeichen fremd geblieben.

 

Mrz 21 25

Der wahre Reichtum

ἄριστον μὲν ὕδωρ, δὲ χρυσὸς αἰθόμενον πῦρ
ἅτε διαπρέπει νυκτὶ μεγάνορος ἔξοχα πλούτου

Pindar, Ol. 1, 1–2

 

Das Beste ist das Wasser, und das Gold,
Wie brennendes Feuer in der Nacht,
Strahlt es hervor aus männergroßmachendem Reichtum.

Wolfgang Schadewaldt

 

Höchstes Gut ist Wasser, aber das Gold,
Wie blinkendes Feuer zur Nacht,
Sticht es hervor aus dem prunkenden Reichtum.

Uvo Hölscher

 

Über Alles ist Wasser, und Gold, gleich flammendem Feuer
Der Nacht, stralet vor der mannadelnden Fülle des Reichtums.

Friedrich Hölderlin

 

Scheint reicher nicht als Gold die grüne Feuchte?
Auch sie erglüht an abendlicher Röte.
Damit dem Irrsal sich die Schneise böte,
netzt sie des Mundes Blume, daß sie leuchte.

Ergreift uns nicht, wenn ausgerauscht die Welle,
wie Gischtes Pfeile leisem Tröpfeln weichen,
das stumme Funkeln über glatten Teichen,
sehn nachts wir sie von traumbemooster Schwelle.

Wie dünkt uns süßer nun im Abendlicht
die Knospe, die sich Eos bang verschlossen,
das Wort, das leise von dem Schimmer spricht,

der ihm im Tau des Monds ins Herz geflossen.
Mehr als das Gold von Pindars Ruhmeskränzen
wiegt uns der Wehmut Tau, der Träne Glänzen.

 

Mrz 20 25

Der Blick ins Jenseits

In halb versteppten, dünn begrünten Schneisen,
wo abends Greise ihren Hündchen rufen,
sitzt du auf Traumes eingebrochnen Stufen,
und Wehmut lechzt umsonst nach süßen Weisen.

Vor gleisnerisch getünchten Bruchsteinmauern,
der Grenze kargen Tags, von drüben dringen
nur dunkles Schluchzen, geisterhaftes Singen,
siehst du den Schatten deiner Liebe kauern.

Du liegst allein, und ist kein Mund, kein warmer,
das Salz dir aus der Wunde Nacht zu saugen.
Da ist kein Engel, ist kein Allerbarmer.

Du blickst ins Jenseits schon mit klaren Augen,
wie sie die Arme reckt, die schneeig bleichen,
von Asphodelen dir den Kranz zu reichen.

 

Mrz 19 25

Die Flucht zu den Eremiten

Nach einem Gang durch die Innenstadt

Statt Herthas Auen Wüsten dürren Lebens,
wo an gigantischen Betonkakteen
die Fäden ausgefranster Träume wehen.
Oasen sucht der Seele Durst vergebens.

Durch Bauten von Termiten hasten Schatten,
die leichten, flügelzarten Ephemeren.
Dämonen, fette, sind, die sie verzehren,
wenn flügelnd sie vor ihrem Thron ermatten.

Wo Schauer uns geweht tauglänzend Laub,
starrt der Asphalt, die Quellen zugeschüttet,
erstickt, der sang, Mund, erdenfeucht, am Staub.

Laß ab vom Wohllaut, ist der Geist zerrüttet,
und fliehe, Dichter, zu den Eremiten,
dir Honig süßen Schweigens zu erbitten.

 

Mrz 18 25

Der Sinn des dichterischen Worts

Wenn Worte sich am Gitter Versmaß ranken,
tropft durch den Dämmer manchmal stilles Licht.
Sie zittern leicht, von Traumes Scheingewicht,
siehst du vom Hauch des Abends sie noch schwanken.

Sie gleichen Trauben auch, ein goldnes Schweben.
Genährt hat sie der Erde dunkler Sinn,
der Sonne Glut, ein Strahl vom Urbeginn,
gab ihnen, daß sie reifen, Glanz ins Leben.

Im hohen Herbst kannst, Dichter, du sie pflücken.
Damit ihr Blut in Herzverliesen gäre,
mußt wohl die runde Frucht du bang zerdrücken.

In Krüge füll es uns, das Licht der Beere,
wenn wir geschwisterlich auf grünen Auen
einander in erwachte Augen schauen.

 

Mrz 17 25

Das Altern des Dichters

Wie bog das Kind, dem aufgeschürft das Knie,
den heißen Kopf in Mutters Schoß. Rasch heilen
gewiegte Wunden. Doch das Gift von Pfeilen,
aus rotem Mund geschnellt, versickert nie.

Gepeitscht von Schreien blinder Sonnenwut,
barg Anmut dich im Flüsterlaub der Lauten.
Sogst du an Asphodelen, mondbetauten,
wie orphisch sang in Träumen dir das Blut.

Vom Star getrübtem Auge fahlen hin
die Auen, einst begrünt vom Hauch der Milde.
Der eigne Schatten überwächst den Sinn,

früh eingeleuchtet dir am Schriftgebilde.
Nun schließ die Augen, auf des Abschieds Schwelle
lausch, wie ins Dunkel strömt die Musenquelle.

 

Mrz 16 25

Stern der Wüstennacht

Als tropfte süßes Abendlicht durch Ranken
am Saum des Rebenpfads im Heimattale.
Höb sich empor das Herz wie eine Schale,
zu sammeln milden Tau dem Schwermutkranken.

Als fändest du im Schrank, den du durchwühltest,
verstaubt von Veilchen einen Strauß, lid-blassen,
und wär ein weher Hauch ihm noch belassen,
daß du, die einst ihn band, die Sehnsucht fühltest.

Nein, heimatlos liegst du, gekrümmt ins Dunkel.
Im Traum durchblättert Wind das Buch der Psalmen,
erloschen ist das herrliche Gefunkel,

der Hymnen Rauschen unter Zions Palmen.
Schlaf tief, bis dir erfrischt der Sinn erwacht,
den hohen Stern zu sehn der Wüstennacht.

 

Mrz 15 25

Hauch des Ungesagten

Wie muß im Durst des Karsts der Strom versiegen.
Statt daß gelöst wir zu den Quellen gehen,
sehn Staub der Angst wir in die Schneise wehen,
wo sonst besonnte Knospen Falter wiegen.

Mit Zungen rasseln wie die Klapperschlange
schließt selbst, die Böses tadeln, ein im Bösen.
Der Wust des Wahns wird sich vom Wort erst lösen,
taucht es zum stillen Ursprung im Gesange.

Magst, Dichter, du den Krug des Verses reiben,
damit sein Silber noch im Dunkel leuchte,
es wird ein Hauch des Ungesagten bleiben.

Gäb schlichter Ton ihm Form, der erdenfeuchte,
uns freut, was du erwählt, doch nicht erdacht,
die Blüten, deren Duft noch weht bei Nacht.

 

Mrz 14 25

Der hohe Augenblick

Beherzt die Apfelsine aufgeschnitten,
wie rinnen mit dem süßen Saft die Samen.
So quillt es aus dem Schoß der Nacht von Namen,
Tau, lindernd, was im Lichte wir erlitten.

Es kündet uns, die still vorübergehen,
Duft, wo vorm Ufer Dämmerlauben ranken,
daß Blüten leuchtend auf den Wellen schwanken,
auch wenn wir sie nur atmen und nicht sehen.

Daß wir am hohen Augenblick uns laben,
dem Schimmer, gleich der Frucht, die aufgebrochen,
wie Honig saugen aus Gedächtniswaben,

was Tränen früher Liebe uns gesprochen.
Sieh, wie die Perlen schon ins Dunkel blassen.
Und wieder sind wir blind, vom Geist verlassen.

 

Mrz 13 25

Der Scheintote

Der Moloch Stadt fletscht seine schiefen Hauer.

Die Flüsse Babels sind Kanäle, wo kein Schilf
mehr birgt, die um die ferne Heimat weinen,
Zions Waisenkinder.

Der Civitas terrena pumpt ein stählern Herz
Schleim der Unzucht und heißen Teer
der Unrast durch Adern, die sich im Nichts,
dem gliederlosen, schlängeln.

Ampel, Zebrastreifen, hochfrequentiert
um diese Morgenstunde, alles hastet, hustet,
hupt und rennt. Aktentasche, Handy, Damen-
täschchen, Einkaufsbeutel.

Ungeduschte, frisch Rasierte, Parfümierte,
Kopftuch, Haartoupet, geflammtes Hals-Tattoo,
Wulstlippen, Augenschlitze, Porno-Dutt,
Netzstrümpfe, Lederriemen, Lippenblech,
gezupfte Brauen, Plastiknägel, Wangenrouge,
Mulatten, Gelbe, Kreidebleiche, negroide
Baobabs und Nippon-Chrysanthemen.

Schulbengel, Banker, Servicegirls, Polierer,
Kappenjungs, geharnischte E-Scooter-
Flitzer, strampelnde Klein-Kind-Segler,
unterm Flugnetz ein gedämpftes Kreischen.

Und der liegt da, umgehauen, hingestreckt,
gefällt, gerollt in einen Schlafsack, schmutzig-grün,
die Beine wie im Weinkrampf um den Laternen-
mast geschlungen, das Gesicht von der Kapuze
wie in Scham verhüllt.

Könnte tot sein. Verendet. Hingeschieden.
Ohne Adieu gesagt zu haben. Wem auch?
Hat seit Jahren keinem mehr die Hand geschüttelt,
jeder wich vor Ekel gleich zurück. Lazarus,
Hiob, Geschwürenexhibitionist.

Da stakt vorbei, steil stelzend, die grellen Lampions
der Hinterbacken rhythmisch auf- und nieder-
schwenkend, ein Gazellenweib, die blondierte
Mähne singt dem Wind: Ich bin noch warm von
der burgunderroten Nacht. Was geht mich
der Kadaver an, der in sein schuldverseuchtes,
ödes Endspiel stinkt.

Ich sah noch, wie ein krummes Hauben-Muttchen
aus seiner Börse ein paar Münzen klaubte und
sie zitternd in die tellerrunde Frotteeschale warf.
Was bewog sie, sich des Kehrichts zu erbarmen?
Das Wehen eines Flügels aus der Dämmernische
bigotter Andacht, in die man statt des Engels
längst ein queeres Flitter-Püppchen rückte?

Ja, die Bettelschale lag, als hätte Nachtwind
sie ihm zugeweht, vor dieses Scheintoten
weltabgewandtem Antlitz.

Vielleicht erhebt er sich, wenn die Laterne ihren
trüben Schimmer mit dem Regenwasser mischt,
schält sich aus dem Sack und geistert, ein Nacht-
mahr auf der Suche nach der bangen Menschen-
brust, daß ihn das mühsam abgepreßte Keuchen
in obszönes Flimmern wiegt.

Vielleicht steigt er, wenn ich erschöpft ins Kissen
sinke, durch einen Gully geradewegs in meinen
Traum.

Dann entblößt er mir sein bronzenes Apachen-
angesicht, und ich erkenn ihn schreckensfroh,
den Freund aus Kindertagen, der mir die Wimpern,
meiner Unschuld zarte Schatten, hat versengt.

 

Mrz 12 25

Heidnisches Abendsonett

Durch Dickicht-Schatten dringt noch blaues Rufen.
Zerzauste Wolken-Rüschen, die sich röten.
Gedämpften Schmerzes träuft Nachtvogels Flöten
den Tau des Abschieds auf bemooste Stufen.

Die Echsen flohen, die im Feuer ruhten.
Als fröre sie, hüllt Rebenlaub die Beere.
Es schwimmt der Mond, das Mal der großen Leere,
der Asphodele gleich auf Lethes Fluten.

Mag sich, was Rätsel sprach, die Wunde schließen
und Stille deinen wilden Sinn befrieden,
wenn Venus’ Tränen in das Dunkel fließen.

Erduldend, was vom Schicksal dir beschieden,
von Nacht gezeugt und Strahlen, namenlosen,
weht hin dein Tag wie weher Duft von Rosen.

 

Mrz 11 25

Frühlingslüfte

Es harzen, treiben Milch die Knospenspitzen.
Wahr sagt der Krokus uns von lichten Sphären.
Daß wir uns recken, wenn die Schwalben kehren,
und nicht gedrückt in grauen Zimmern sitzen.

Das Fenster öffnet selbst der Schwermutkranke,
es ist daran gestreift ein Flügelschatten.
Die von zerkochtem Wissen längst nicht satten
treibt’s, Glanz zu schmecken, Tau der losen Ranke.

Was von den Höhen Tropfen Lichtes träuft,
was seufzend aus der dunklen Erde quillt,
hat Schöpfergeist im Abgrund angehäuft

und streut es aus. Wir staunen vor dem Bild,
das uns enthält wie Blüten tausend Pollen.
Daß wir, weil wir’s nicht malten, bloß nicht schmollen.

 

Mrz 10 25

Die Insel der Seligen

μακάρων
νᾶσος ὠκεανίδες
αὖραι περιπνέοισιν,
ἄνθεμα δὲ χρυσοῦ φλέγει,
τὰ μὲν χερσόθεν ἀπ᾽ ἀγλαῶν δενδρέων,
ὕδωρ δ᾽ ἄλλα φέρβει

Pindar, Ol. 2, 71–74

 

wo der Seligen
Insel Okeaniden-
Lüfte umatmen; die Blüte aber
des Goldes flammt
über dem Erdreich von
glänzenden Bäumen,
das Wasser aber andere<s> nährt

 

Friedrich Hölderlin

 

Doch umatmen der Seligen Inseln
Okeanische Lüfte,
Und Blumen von Gold brennen, die einen landwärts
Von prangenden Bäumen, das Wasser aber nährt andere

 

Wolfgang Schadewaldt

 

Der zarte, herbe Pindar sah sie wehen,
an schwanken Zweigen golden Blüten leuchten,
auf Wellen auch, die wiegend sie befeuchten.
Was blieb uns Mythenblinden noch zu sehen?

Er fühlte ozeanisch Lüfte blauen
um eine ferne Insel der Beglückten,
von Charis Hauch dem Erdenleid Entrückten.
Was fühlen unsre Herzen noch, die grauen?

Den Sohn Achill trug Thetis an die Küste,
durch Gischt grub Nereus ihr die Liebesbahn,
daß er nach dunkler Qual vom Dank noch wüßte,

der ihn vom Zorn erlöst, vom Flammenwahn.
Wer netzt die Seele uns, die ruhelose,
mit trunknem Tau von Edens stiller Rose?

 

Mrz 9 25

Abends am Strom

Wüsten Lebens Lärm, hin mag er wehen,
wenn wir abends durch das Schilflied gehen,
sanft zerteilen hoher Halme Schatten,
Licht von Blüten auf dem Wasser sehen,
bis sie unterm Tau des Monds ermatten.

Was wir sagen, Schweigen mag’s vollenden,
Augen, die sich trunkne Botschaft senden,
Düfte, wenn sich geben zarte Sprossen,
Dunkelfaltern Sonnenpollen spenden.
Nacht hat uns wie schwarzer Samt umflossen.

Treiben einsam wir auf jähen Tiefen,
Tränen sind, die hell ins Dunkel triefen,
Tränen, die den Fels der Angst erweichen,
bis uns Herzen, die in Nestern schliefen,
singen und wir uns die Hände reichen.

 

Mrz 8 25

Das strömende Wort

Essenz aus Erde, Wasser, Feuer, Luft,
strömt hin das Wort durch helle, dunkle Zeiten,
behaucht, was müde ward, entflammt, die streiten,
bringt Liebenden von Eden Friedensduft.

Wo es entsprang, in Karsten, wüst und leer,
der Quelle gleich, erweckt von jähen Blitzen,
quillt’s, seufzt und tanzt auf schwanken Blütenspitzen,
schwillt an und mündet, Hymnenstrom, ins Meer.

Verstummst du Mensch, entsetzt von Leid und Grauen,
sinkt schon die Sonne deines Tags hernieder,
vom Hügel mit dem Kreuz siehst fern du blauen,

sich windend kühn, den Strom der Psalmen wieder.
Von ihm benetzt, kann banges Herz sich sagen:
Zerfall zu Staub ich auch, Gras will ich, Blüten tragen.

 



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